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Kim Kardashian, Netflix und der freie Markt

 

Kim Kardashian, Netflix und der freie Markt
Kim Kardashian und Kanye West im vergangenen Juni in New York. Foto: REUTERS/Lucas Jackson

Liberale Ökonomen glauben ja, dass die Märkte alles regeln, wenn man sie nur lässt. In ihrer Logik ist alles eine Frage des Preises. Egal, ob es darum geht, wer den neuesten Flachbildschirm und die heißesten Markenklamotten bekommt – oder um die Verteilung von Jobs, Nahrungsmitteln und Bildungs-, also Zukunftschancen. Theoretisch funktioniert das so: Angebot trifft auf Nachfrage, es bildet sich ein Preis – je knapper, desto teurer – alles wird verkauft, die Geschäfte sind gemacht, und alle gehen zufrieden nach Hause. Effizienter geht’s nicht.

In der Praxis gibt es schon größere Probleme. Zwei Beispiele: Sind Lebensmittel knapp und teuer, kann sich nicht jeder genug zu essen leisten. Sind Jobs für ungelernte Arbeiter rar, Arbeiter ohne Berufsausbildung aber zahlreich, müssten sie auf einem komplett freien Markt Jobs zu jedem noch so geringen Lohn annehmen – es sei denn, sie haben Ersparnisse und können sich die Arbeitslosigkeit leisten. Wer Geld hat, kann sich alles kaufen; eindeutig ein Vorteil auf liberalisierten Märkten. Die anderen haben nicht viel von der Effizienz.

Die beiden Ökonomen George Akerlof und Robert Shiller haben Wirtschaftsnobelpreise gewonnen, weil sie gezeigt haben, dass Märkte doch nicht so einwandfrei funktionieren wie in diesem schlichten Modell. In ihrem neusten Buch Phishing for Phools stellen sie eine interessante These auf: Die Märkte mögen effizient sein, aber sie sind auch besonders gut darin, die Schwächen der Menschen auszunutzen. Das heißt: Sie liefern nützliche Ergebnisse ebenso effizient, wie sie Schaden erzeugen können.

Glaubt man den beiden Nobelpreisträgern, lässt sich das an der modernen Medienwelt besonders gut beobachten. Hier kommt Kim Kardashian ins Spiel. Warum berichten Journalisten so viel über sie und andere Promis? Warum erhält Klatsch so viel Platz in den Medien, wo es doch viele wichtigere Themen gäbe? Jeff Guo, Autor des Wonkblog der Washington Post, hat mit Akerlof und Shiller darüber gesprochen. Deren ökonomische Antwort: „Die Märkte geben uns genau das, was wir wollen.“

Das bedeutet: Medien wissen mittlerweile ziemlich gut, welche Storys beim Leser oder Zuschauer ankommen. „Sie erkennen eine gute Story und spielen sie, und sie vergessen darüber alle wichtigen Geschichten“, sagt Ökonom Shiller zu Guo. Zum Beispiel alles über die Kardashians. Medien „geben den Leuten das, was sie wirklich wollen. Wenn man sich mit ihnen hinsetzte und sie fragte: Wollt ihr wirklich, dass wir den ganzen Tag Geschichten über Kim Kardashian hochspielen? Dann würden sie das in ihren besseren Momenten vielleicht verneinen“, sagt Shiller.

Gesprächsstoff aber wird durch das geschaffen, was in den Medien ist. Was dort nicht vorkommt, kriegt keine Aufmerksamkeit: eine Spirale. „Ich glaube nicht, dass die Leute begreifen, in welchem Ausmaß das beeinflusst, über welche Dinge wir nachdenken“, ergänzt Shiller. „Man könnte denken, dass alles, worüber wir uns unterhalten, die wichtigsten Dinge sind. Aber das ist nicht wahr.“ Einen vergleichbaren Mechanismus findet Shiller bei Netflix: Auch dort schauten die Kunden am liebsten seichte romantische Komödien statt schwere Dokumentarfilme.

Das große Problem: Wer will schon entscheiden, was wirklich wichtig ist? Der freie Markt jedenfalls kann es offenbar nicht. Kim Kardashian hat es bewiesen.

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