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O du einsame Weihnachtszeit!

 

„Wenn du Einsamkeit nicht ertragen kannst, langweilst du vielleicht auch andere“, hat Oscar Wilde einst gesagt. Und natürlich hat er recht. Denn wie soll eine spannende Konversation entstehen, ohne Zeit zum Nachdenken, zum Reflektieren eigener Gedanken? Wie kann man interessant für die Mitmenschen sein, wenn man sich selbst nicht aufregend genug findet, um ein paar Stunden alleine zu verbringen?

In den nächsten Wochen werden wir wieder unzählige Male Driving home for Christmas im Radio hören und danach glauben, das nach Zimtsternen und Gans duftende Weihnachtsfest sei der Weiße Ritter, der die in den vergangenen knapp zwölf Monaten aufgestaute Einsamkeit im Alleingang besiegt. Und dass wir bemitleidenswerte Kreaturen sind, wenn wir Weihnachten alleine verbringen müssen.

„Zeit heimzukommen“, haucht in diesen Tagen ein Clip aus den Sozialen Netzwerken heraus. Ein Großvater mit Hundeblick gaukelt den eigenen Tod vor, damit die jetsettenden Angehörigen aus Hongkong und New York, aus Berlin und Melbourne endlich den Ernst der Lage erkennen und nach Hause kommen. Die plündern prompt ihr Meilen-Konto, nehmen den nächsten Flieger und reisen pünktlich zum Christfest in die ihnen so fremde Heimeligkeit, wo ein quietschlebendiger Senior bereits das Totenmahl aufgebaut hat, das in Wirklichkeit ein Festmahl ist.

Das Ganze ist ein Spot für eine Supermarktkette (nicht der erste übrigens, der sehr erfolgreich ist) und überraschenderweise scheint die gehörnte Familie nach allem, was man so sieht, mit der Situation am Ende ziemlich happy zu sein. Vielleicht liegt es an den tollen (natürlich aus Edeka-Lebensmitteln) gezauberten Köstlichkeiten.

Aber letztlich ist das alles nur gut gemachte Werbung aus den Federn der PR-Strategen von Jung von Matt, die mit der Realität so wenig zu tun hat wie der Nikolaus mit Coca-Cola. Denn es gibt Schlimmeres als Weihnachten alleine zu verbringen: Zum Beispiel die Situation, wenn Menschen, die einander über das Jahr nicht viel zu sagen haben, an Weihnachten plötzlich aufeinandersitzen und Gespräche führen müssen, weil im Fernsehen nichts Besseres läuft. Der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen hat diese Thematik in seinen wunderbaren Roman Die Korrekturen gepackt.

Womit wir wieder bei Oscar Wilde wären. Angehörige, die den vermeintlichen Tod des Großvaters benötigen, um den Wert von Familie zu erkennen, sind eine ziemlich langweilige Gesellschaft. Da hilft auch kein Edeka-Merlot.

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