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Heimliche Lieblingslieder

 

„Fundamental“ hat beinahe alles, was ein gutes Pet Shop Boys-Album ausmacht: dramatische Mini-Opern, süßliche Schmonzetten, eingängige Melodien und gute Texte. Nur die erste Single ist eine Enttäuschung

Cover Fundamental

Das können die besser, ist mein erster Gedanke, als ich die Vorabsingle zum neuen Album der Pet Shop Boys im Radio höre. I’m With Stupid ist Malen nach Zahlen, berechnet, langweilig, vorhersehbar. Nicht einmal der Refrain ist sonderlich aufregend oder originell. Dabei hatten selbst ihre lauen Alben immer zumindest brillante erste Singles.

Einige Wochen nach der Single erscheint nun Fundamental, das neunte Album der beiden Popper aus Großbritannien, die man immer noch „Jungs“ nennen möchte. Es klingt überraschend gut, frisch. Und ein bisschen nach früher. Das repetitive, beinahe düstere Psychological eröffnet das Album, bleibt noch ein bisschen unentschieden, distanziert. Aber schon der zweite Song The Sodom And Gomorrah Show ist ein Stück klassischer Pet Shop Boys, „Sun, sex, sin, divine intervention, death and destruction“. Vollkommen überdrehte Keyboard-Geigen, einladende Harmonien und ein stampfender Rhythmus machen es zu einer dramatischen Mini-Oper. Dazu gibt es flatterndes Dengeldongel im Hintergrund und einen süßen Refrain, auf den selbst Abba neidisch gewesen wären: „It’s got everything you need for your complete entertainment“. In der Tat. Und so geht es weiter, große Melodien, opernhafte Chöre, originelle elektronische Klänge, beinahe jeder Song bleibt bereits nach dem ersten Hören tief im Ohr stecken.

Zwischen die Tanznummern gestreut finden sich immer wieder die üblichen Popschmonzetten. Die beste davon ist I Made My Excuses And Left. Sie offenbart neben den musikalischen Qualitäten der Band auch das texterische Können von Neil Tennant, seinen feinen, beinahe tragischen Humor. Er überrascht seine Freundin oder seinen Freund – das lässt er eigentlich immer unentscheidbar – mit einem Liebhaber, verweigert der Situation aber die Dramatik, entschuldigt sich stattdessen und geht, um weitere Peinlichkeiten zu vermeiden. Casanova In Hell erzählt die Geschichte eines gealterten Casanova, der nur noch von Schändung träumt und den Mythos seiner sexuellen Begabungen nur noch aufschreiben kann. Und Luna Park ist, heißt es, ein Bild des aktuellen Amerika. Nichts ist in Ordnung, alles ist düster, im Vergnügungspark aber werden besinnungslos „Brot und Spiele“ zelebriert. Alleine Numb ist musikalisch ein bisschen billig geraten, zu triefend.

Die frühen Neunziger klingen überall durch auf Fundamental. Besonders die flotten Songs Minimal und Twentieth Century werden von hektischen Keyboards und stumpfen Rhythmen vorangetrieben. Das als Rückbesinnung zu begreifen, ist wohl etwas sehr einfach, schließlich klangen die Pet Shop Boys Anfang der Neunziger ganz anders, machten gerade eine eher ruhige Phase durch und zogen sich nach sich überschlagenden Erfolgen etwas zurück.

Überhaupt, über die Pet Shop Boys wird viel Blödsinn geschrieben. Integral sei ein „wuchtiger, faschistoider und zugleich einschmeichelnder Stampfer“, ist zu lesen. Andernorts wird behauptet, Fundamental sei „ein Polit-Album“ – nachdem Release 2002 ihr Gitarrenalbum gewesen sein. Dass es in I’m With Stupid um die Männerfreundschaft zwischen Tony Blair und George W. Bush geht, steht im Presseinfo und wird folgerichtig allerorten wiedergekäut. Und in der Tat, Twentieth Century wirft einen pessimistischen Blick auf die Errungenschaften des vergangenen Jahrhunderts, Indefinite Leave To Remain kommentiert die inhumane europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik, Integral zeichnet ein düsteres Bild der britischen Überwachungsgesellschaft, „we’re moving to a situation, where your lives are simply information“. Aber eine politische Band waren die Pet Shop Boys schon seit Please vor 20 Jahren. All ihre Platten sind reich an Kommentaren zum Geschehen in Britannien, wenn auch meist feinsinnig, zurückhaltend formuliert.

Die letzte Platte der Pet Shop Boys – Release – verstaubte ungerechterweise in den Regalen, weil sie zu introvertiert und ruhig war. Das Schicksal dürfte Fundamental erspart bleiben, mit ihm geht die Band wieder direkt auf die Hörer zu. Beinahe jedes Stück hat das Zeug zum heimlichen Lieblingslied. Mehr kann eine so populäre Band kaum erreichen.

„Fundamental“ von den Pet Shop Boys ist als CD und Doppel-CD (inkl. acht Remixe) erschienen bei EMI/Capitol.

Hören Sie hier „Integral“