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Batteriebetriebene Melancholie

 

Der amerikanische Klangtüftler Owen Ashworth alias Casiotone For The Painfully Alone galt bisher als Meister minimalistischer Weisen. Sein neues, viertes Album „Etiquette“ überrascht dagegen mit Opulenz

Cover Casiotone

Owen Ashworth aus Chicago, Illinois ist kein Mann, der irgendwo auf der Welt als Popstar durchgehen würde. Die paar Pfunde zu viel, die er auf den Hüften trägt, der Vollbart, die Brille und seine Unsicherheiten machen ihn auch optisch zu einem etwas verschrobenen Heimwerker tieftrauriger Weisen. Jeder, der ihn einmal auf der Bühne gesehen hat, wird das bestätigen.

Mit seinem Projekt Casiotone For The Painfully Alone beglückt er seit ein paar Jahren Freunde spartanischer Lieder. Der Name seines Projekts ist Programm. Ein batteriebetriebenes Mini-Keyboard der Marke Casio, holprige, vorprogrammierte Rhythmen und fein gearbeitete Texte steckten das künstlerische Feld ab. Dazu verhandelt er all die Miseren der Liebe und des Lebens. Die Seele der Stücke liegt in seiner Stimme. Traurig und intim klingt das, was er in seinen Mehrspur-Rekorder diktiert. Die Platten dazu heißen Answering Machine Music (Anrufbeantworter-Musik), Pocket Symphonies For Lonesome Subway Cars (Taschen-Sinfonien für einsame U-Bahn-Waggons) oder ganz aktuell: Etiquette.

Der Minimalismus der vorangegangen Platten ist auf dem neuen Tonträger etwas aufgeweicht worden: Etiquette ist Casiotone For The Painfully Alone in Cinemascope. Streicher, Piano, Orgel und Schlagzeug ergänzen das eng gezogene Korsett der Anfänge. Nashville Parthenon ist ein Country-Song im Elektronik-Gewand, Cold White Christmas träumt zu einer heimeligen Orgel von fernen Weihnachtsabenden, während der Blick nach draußen auf kahle Winterbäume fällt. Den Stücken tut die neu gewonnene musikalische Opulenz gut.

Auf der Bühne wird alles wieder zurückgeführt auf mehrere analoge Keyboards, Sequenzer und Stimme. Owen Ashworth ist kein Entertainer, er wirkt fast unfreiwillig ins Rampenlicht gezerrt. Die Füße, die schräg zum Publikum positioniert sind, der scheue Blick und die kurzen Ansagen sprechen Bände. Da steht einer auf der Bühne, der wundervolle Stücke schreibt, diesen aber lieber im Heimstudio den nötigen Schliff verpasst, als vor gierigen Blicken.

Ein Konzert wird so zu einer Erfahrung von Einsamkeit. Die Melancholie, die Vereinzelung, die Stücke mit Titeln wie I Should Have Kissed You When I Had A Chance, Tonight Was A Disaster oder Don’t They Have Payphones Where You Were Last Night durchwehen, wirkt nicht aufgesetzt, sondern authentisch. Das Leben verdichtet sich darin zu dreiminütigen, analogen Songminiaturen. Von der wahren Liebe, die so schwer zu finden ist, erzählt er, von dem schalen Geschmack nach einem One-Night-Stand am Neujahrsmorgen, von einem Schutzschild, der ihn vom wirklichen Leben trennt. Ob es sein eigenes Leben ist, von dem er unter dem Mantel fremder Geschichten berichtet? Man muss es fast glauben.

Bei seinen Konzerten spielt er manchmal ganz zum Schluss, als Zugabe, eine vollkommen zerhackte Version von Paul Simons Graceland. „Die Liebe zu verlieren“, heißt es darin, „gleicht einem Fenster in deinem Herzen. Jeder sieht, dass es dich umhaut, jeder spürt den Wind.“ Owen Ashworth trotzt diesem Wind: mit der Energie von drei Mignon-Batterien, einem kleinen, handlichen Keyboard und den wundervollen Songs seines Albums Etiquette.

Etiquette von Casiotone For The Painfully Alone ist als LP und CD erschienen bei Tomlab.

Hören Sie hier „New Year’s Kiss“

Weitere Stücke können Sie auf seiner Website hören