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Tagträume in New York City

 

Ist das jetzt schon das Alterswerk? Ein Vierteljahrhundert nach ihrer Gründung klingen Sonic Youth auf „Rather Ripped“ überraschend melodiös und gelassen, stellenweise gar sommerlich

SY

Exakt 25 Jahre ist es her, da standen Sonic Youth erstmals unter diesem Namen auf einer Festival-Bühne in der Nähe von New York. Die Prinzipien ihres Musizierens hatten sie schon damals klar formuliert: vom Mainstream sollte sie sich abheben und von allen musikalischen Fesseln befreit sein. Außerdem sollte niemand in der Band die Führungsposition einnehmen. Ihre Musik bestand aus Rückkopplungen, Disharmonien, Geschrei und war vor allem laut.

Von der Überzeugung, dass die Befreiung vom Mainstream nur über kreischende Instrumente zu erreichen sei, haben sie längst Abstand genommen, glücklicherweise. Immer ausgetüftelter wurden ihre Platten, immer überwältigender die Melodien, die sie aus Disharmonien schufen. Es ist ihnen gelungen, dabei an ihren Prinzipien festzuhalten. So teilen sich Bassistin Kim Gordon und Gitarrist Thurston Moore noch immer die Gesangsteile, den Platz im Scheinwerferlicht.

Nun also Rather Ripped, das neue, mindestens 25. Album der amerikanischen Band. Ein bisschen ist es wie immer, alles klingt vertraut. Und großartig. Und dennoch wirkt es leichter als die letzten Aufnahmen, ja fast luftig. Klangtüftler Jim O’Rourke, der seit NYC Flowers & Ghosts (2000) Bandmitglied ist, spielt diesmal nicht mit. Es heißt, er wolle mit seinem Studium vorankommen. Vielleicht deshalb ist das Album sehr direkt geworden, so erstaunlich ballastfrei. Statt dicke Klangschichten aufzutragen und auf möglichst vielen Umwegen zum Ziel zu kommen, besinnen sich Sonic Youth auf ihre Stärken: das spannungsreiche Wechselspiel zwischen zarter Melodie und lärmendem Experimentieren, zwischen schwer konsumierbarem Gitarrenkrach und sachten Gesangslinien. Das alles präsentieren sie sehr gelassen und voller Spielfreude.

Mit Reena und Incinerate eröffnen zwei klassische Sonic Youth-Rocksongs das Album, beim ersten singt Kim Gordon sogar richtig. Die seltenen lärmigen Ausbrüche stören die sommerliche Stimmung ganz und gar nicht. Do You Believe In Rapture?, Lights Out und Or sind die einzigen Lieder, die in ihrer ruhigen, introvertierten Stimmung an die letzten Alben erinnern, nur das auf der europäischen Version des Albums exklusive Helen Lundeberg ist richtig rumpelig, klingt nach den frühen Tagen. Alle anderen Stücke könnten Überreste aus Sonic Youths erfolgreichster Zeit Anfang der 90er sein, als sie mit Nirvana im Vorprogramm um die Welt tourten. Damals erschienen Daydream Nation (1988) und Goo (1990), bis heute ihre melodiösesten und populärsten Alben. An diese scheinen sie nun anzuknüpfen.

Doch keine Angst: Weder klingen sie wie eine Band, die versucht, die guten alten Tage wieder aufleben zu lassen, noch sind sie nun brav, langweilig oder angepasst. Hinter jeder Ecke lugt auch weiterhin ein kleines Experiment hervor, jedem zurückhaltenden Takt kann eine Eskapade folgen. Rather Ripped klingt für eine ganze Zeit wie das beste Sonic Youth-Album seit, na ja, was weiß ich … langer Zeit eben.

„Rather Ripped“ von Sonic Youth ist als LP und CD erschienen bei Geffen/Universal

Hören Sie hier „Incinerate“

Auf der Website der Band kann man alle Songs zur Probe hören, bei myspace finden sich vier vollständige Lieder des Albums

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