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Die schwarz-orangene Revolution

 

45. Geburtstag oder 30. Todestag? Egal, die Plattenfirma Impulse! feiert die eigene, stolze Geschichte mit der Zusammenstellung „The House That Trane Built“

Cover Impulse

Eine Tonspur in orange und schwarz schlängelt sich durch die 1960er und 1970er Jahre. Als das Jazzplattenlabel Impulse! gegründet wurde, wollte man Signalfarbe bekennen, ein Ausrufezeichen setzen. Fünfzehn Jahre lang war es immer ganz dicht dran am unruhigen musikalischen Zeitgeist. Dass Orange und Schwarz später auch für „Feuer und Ebenholz“ oder „Zorn und Stolz“ standen, war vor allem einem Musiker zu verdanken: dem genialen und charismatischen Saxofonisten John Coltrane.

„Trane“ war bekannt geworden als Begleitung des Startrompeters Miles Davis. Mit seinem eigenen Quartett und einer Unmenge neuer Ideen im Kopf wurde er der erste und prägende Künstler bei Impulse!. Der Jazzhistoriker und Label-Biograph Ashley Kahn sieht in Impulse! sogar „das Haus, das ‚Trane‘ baute“.

Und was für ein Haus: eins mit tausend Türen, schiefen Ebenen, durchlässigen Wänden, wo sich Session scheinbar nahtlos an Session reihte, wo man stetig auf der Suche nach Neuem war, wo Jazz alles Mögliche sein konnte: eleganter Swing, rauer Hardbop, grooviger Funk, politisches Aussage, Happening, Gottesdienst. Coltrane engagierte junge, unbekannte Talente, schaffte die Freiräume, in denen dann alles möglich war – sogar das Harfenspiel seiner Frau Alice. Coltrane starb 1967, die Firma wurde neun Jahre später verkauft. Heute gehört sie zur Verve Music Group von Universal. Das reiche Erbe wird dort gepflegt, neue Einspielungen erscheinen äußerst selten.

Eine opulente, vier CDs umfassende Jubiläumssammlung erzählt nun die Geschichte der Jahre 1961 bis 1976. Die Aufnahmen sind lose chronologisch sortiert, viele bekannte – allen voran die Saxofonisten wie Coltrane, Sonny Rollins, Oliver Nelson, Archie Shepp, Pharoah Sanders – und auch ein paar weniger bekannte Jazzmusiker sind vertreten. Die Aufnahmen zeigen, dass Impulse! weit mehr war, als das leicht abgedrehte Freejazz-Label, als das es später galt. Sie zeigen auch, was künstlerischer Mut und eine liberale Aufnahmepolitik bewirken können. Die Musiker durften mitreden. Der Produzent Bob Thiele schlich sich noch in tiefer Nacht in die Studios, damit die Konzernführung nicht mitbekam, wie viele Platten tatsächlich eingespielt wurden.

Die vierstündige Reise durch die Impulse!-Geschichte ist bis auf wenige Missgriffe (das kitschige Chocolate Shake von Trompeter Freddie Hubbard, das zum Gähnen langweilige Gypsy Queen von Gitarrist Gabor Szabo) ein grandioses Hörerlebnis. Ein freier, schwebender Klang und ein abenteuerlustiger Geist verbinden die wegweisenden Aufnahmen. Wer Zusammenstellungen sonst ablehnt, sollte diese mal anhören.

„The House That Trane Built“ ist als 4-CD-Box erschienen bei Impulse!

Hören Sie hier „Mama Too Tight“ von dem Tenorsaxofonisten Archie Shepp

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