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Ist das nicht der Typ von…?

 

Dass man ihn einen Tausendsassa nennt, daran ist Erlend Øye selbst schuld. Ob mit den Kings Of Convenience oder als DJ, stets gelingen ihm Überraschungen. Sein neuester Streich: The Whitest Boy Alive

Cover Whitest Boy Alive

Man kann sich das vielleicht so vorstellen: Vier Jungs daddeln in einem Studio in Berlin mit allerlei elektronischem Gerät vor sich hin. Sie drehen an ihren Knöpfchen und Rädchen, lassen die Synthesizer und Sampler knarren und fiepsen, bis sie heiß laufen, und grienen sich einen über die kuriosen Computerklänge, die sie erzeugen. So geht das erst ein paar Wochen, dann Monate, es kommt aber kaum Zählbares dabei raus. Sie beginnen sich zu langweilen.

Eines schönen Tages bringt einer von ihnen Three Imaginary Boys von The Cure mit ins Studio, alle sind begeistert. Sie hören die Platte immer und immer wieder, begeistern sich für die Direktheit der Stücke und die rohe Aufnahme. Beim nächsten Mal bringt ein anderer ein paar Schätze aus seiner Sammlung von Soul-Platten mit, wieder lauschen alle sprachlos. Ein paar Tage darauf ergeht es einer Anthologie der Gruppe Camper Van Beethoven nicht anders.

Als sie sich danach wieder treffen, wissen alle, was zu tun ist. Ohne weiter drüber nachzudenken, tragen sie ihre elektronischen Spielzeuge in den Keller und kramen die alten, verstaubten Instrumente aus dunklen Ecken. Ein Bass ist dabei, eine Gitarre, ein elektromechanisches Klavier und ein Schlagzeug. Sie fangen sofort an zu spielen, langsam gewöhnen sich die Finger wieder an die Saiten. Sie wollen The Cure und den Soul und vieles andere mehr. Das Aufnahmegerät läuft die ganze Zeit, abends sind alle beeindruckt davon, wie gut das klingt. So frisch.

Plötzlich geht alles ganz schnell. Die Vier nehmen alles live auf, spielen immer gemeinsam. Die Stücke entstehen fast von alleine. Ungeschliffen sind sie, manche flott, manche ruhig. Sie verströmen Wärme und Echtheit. Erlend Øye singt dazu mal wirr-verträumte, mal romantisch-süße und manchmal trocken-spöttische Texte. „Patience is just another word for getting old“, singt er und „I’m done with you, I’m selling my heart“. Solche Dinge.

Immer wieder müssen sie ihr Spiel unterbrechen, weil einer lacht. Manchmal über die Texte, ein anderes Mal, weil es so viel Spaß macht zu spielen. Meistens aber, weil sich einer verspielt. Marcin Öz zupft stoisch seinen Bass, von Stück zu Stück stellt er seinen Verstärker lauter. Sebastian Maschat spielt ein gelassenes Schlagzeug, während Daniel Nentwig seinem Rhodes-Klavier warme bis drollige Klänge entlockt. Erlend Øye spielt die Gitarre und lässt immer mal ein kleines Solo in Zeitlupentempo einfließen. Und jeden Abend loben die anderen ihn für seine schöne, sanfte Stimme.

Bald haben die Jungs zehn einfache, schöne Lieder beieinander und scherzen darüber, sie zu veröffentlichen. „Wir gründen eine eigene Plattenfirma und nennen die Platte Dreams, hihi, das wird niemand verstehen“, witzelt einer. Sie sind so mächtig stolz auf ihre handgemachten Töne, dass sie den Plan schließlich in die Tat umsetzen. Ganz am Ende, beim Mischen, lassen sie Lacher und blödsinniges Gequatsche an den Liedanfängen und -enden einfach drin. Die Verspieler sowieso. Und haben diebische Freude dran.

Schade eigentlich, dass es auch ganz anders gewesen sein könnte.

„Dreams“ von The Whitest Boy Alive ist als CD erschienen bei Bubbles

Hören Sie hier „Burning“

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