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Die Platte springt nicht

 
Die Lieder von The Sea & Cake sind glatt und elegant, ein bisschen fröhlich und ein bisschen melancholisch. So könnte Musik klingen, wenn immer und überall Musik wäre.

The Sea And Cake Everybody

In dem deutschen Spielfilm Absolute Giganten wünscht sich die Hauptfigur Floyd an einer Stelle, „Es müsste immer Musik da sein, bei allem, was du machst.“ Im Hintergrund leiert Reprise, ein melancholisches Instrumentalstück der Band Sophia. „Und an der Stelle, wo es am allerschönsten ist, müsste die Platte springen und du hörst immer nur diesen einen Moment“, fährt Floyd fort. Doch die Platte springt nicht, das Stück ist nach anderthalb Minuten vorbei.

Die Musik von The Sea & Cake aus Chicago hätte gut an diese Stelle gepasst. Ihre Lieder sind elegant, ein bisschen fröhlich und melancholisch. Die Töne und Rhythmen fließen, sie passen immer. Sie können einfach nebenbei säuseln, zum Spülen oder Aufräumen. Man kann ihnen genausogut aufmerksam zuhören, abends im Bett, bei einer Flasche Rotwein, mit Kopfhörern. So könnte es klingen, wenn immer und überall Musik wäre.

Vor einigen Jahren war die Musikszene Chicagos plötzlich in aller Munde. Die Musik von Bands wie Tortoise, Isotope 217, Pullman, dem Chicago Underground Orchestra und eben The Sea & Cake wurde unter der Bezeichnung Post-Rock bekannt. Sie spielten Rock- und Popmusik, stark beeinflusst vom Jazz, von Minimal-Music und manchmal von Folk und HipHop. Bei WOM in Hamburg wurde ein eigenes Fach „Chicago“ eröffnet. Auch viele deutsche und britische Bands fanden sich dort.

Damals waren The Sea & Cake mit Tortoise auf Tour, das waren seltsame Konzerte. Hier die Kompositionen der Instrumentalkünstler von Tortoise, lauter ausgefallene Takte und Instrumente, zerbröselte Rhythmen und Melodien. Und dort die feinsinningen The Sea & Cake, ihre lockerflockigen Gesangslinien und Gitarrenmuster. Tortoise spielten keinen Takt zweimal, The Sea & Cake den einen Takt immer wieder. Der Schlagzeuger John McEntire stand jeden Abend zweimal auf der Bühne.

The Sea & Cake gibt es seit 1993, Everybody ist ihre siebte Platte. Auf der letzten, One Bedroom, hatten sie vor vier Jahren die Glattheit ein wenig übertrieben. Ihre Lieder klangen seelenlos, das Album gipfelte in einer schillernden Coverversion von David Bowies Sound And Vision. Danach nahm der Sänger Sam Prekop ein Soloalbum auf und reiste als Fotograf durch die Welt, der Schlagzeuger John McEntire nahm mit seiner anderen Band Tortoise und Bonnie „Prince“ Billy ein rumpeliges Coveralbum auf.

Everybody klingt so, als spiele die Band wieder zusammen. Die Kompositionen stehen im Mittelpunkt, nicht die verspielte Instrumentierung. Die Lieder klingen direkter, große Teile des Albums wurden live aufgenommen, Overdubs kommen selten zum Einsatz. Zum ersten Mal wurde ein Album der Band nicht von John McEntire produziert.

Man ist versucht, diese Musik in Metaphern zu beschreiben. Übertreiben wir mal ein bisschen: Wie Eisblumen am Fenster entfalten sich die von Sam Prekop mit wachsweicher Kopfstimme gehauchten Melodien. Wie Schönwetterwolken ziehen die Gitarrenmuster am hellblauen Himmel. Wie Lava brodelt der Bass. Und das Schlagzeug… Ach, lassen wir das.

„Everybody“ von The Sea & Cake ist als CD und LP bei Thrill Jockey erschienen.

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