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Die Idee ist von Mozart

 
Regina Spektor macht Popmusik für Menschen, die Popmusik nicht mögen. In ihrem eigenwilligen Spiel mit Zitaten und Klängen kann sie nur ein Schluckauf bremsen.

Regina Spektor Hope

Anti-Folk und Anti-Pop nennen viele das, was Regina Spektor da vorführt. Sie macht Musik, wie sie wohl nur in der Großstadt, vielleicht sogar nur in New York entstehen kann: voller Anspielungen, ironisch und geheimnisvoll, manchmal auch unverständlich. Wenn man Pop mit Oberflächlichkeit gleichsetzt, dann ist ihr Album Begin To Hope tatsächlich Anti-Pop.

Regina Spektor kam im Alter von acht Jahren mit ihren jüdischen Eltern nach New York, sie flohen vor antisemitischen Anfeindungen aus Russland. Gegen ihren Willen ging sie zum Klavierunterricht, ihre Eltern hatten nur Ohren für klassische Musik. Allmählich begann Regina Spektor, andere Musik wahrzunehmen, in New York konnte sie dieser nicht entgehen. Die Kurzfassung ihrer Karriere: Sie fing an, Lieder zu schreiben, nahm einige Alben auf, gewann mit Soviet Kitsch ein größeres Publikum, traf den Produzenten David Kahne und spielte mit seiner Hilfe Begin To Hope ein.

„Shook it up“, sagt die Sängerin beiläufig, und schon ist man mittendrin in einer Wolke von Pizzicati, zunächst nur auf Violinen, später treten Violen und Celli hinzu. Ein elektronisches Schlagzeug zählt mit. Fidelity heißt das Stück. Sie singt wie für sich selbst, der Text klingt autobiografisch, ist es aber wohl nicht. Sie erfindet diverse Alter Egos, benutzt erfundene Figuren. Ihr verhaltener Stimmklang wird eingehüllt von Synthesizerklängen, die ein englisches Blasorchester aus Hörnern und Posaunen nachahmen, bis sich ein Klarinettenklang löst und davonschwebt. Die Idee stammt von Mozart. Schließlich setzt doch noch ein leibhaftiges Schlagzeug ein, parallel zu dem elektronischen. Basstrommel, Snare, Hi-Hat, ein, zwei Mal ein Crashbecken, das ist alles. Am Schlagzeug sitzt Shawn Pelton. Er hat für Bruce Springsteen getrommelt und für Sheryl Crow. Sein kunstvolles Spiel verleiht dem Stück die eigentliche Dynamik.

On The Radio ist simpel und vertrackt zugleich. Im Grunde sind es abgegriffene Akkordfolgen, wie sie schon hundertfach verwendet wurden – etwa in Emilias Big Big Girl. Wieder bilden Pizzicati die Grundfarbe des Klangs, Shawn Pelton zeigt im Hintergrund, was er mit drei Perkussionsinstrumenten anstellen kann. Regina Spektor singt von einem Radio-DJ, der offensichtlich eingeschlafen ist. Er spielt November Rain von Guns N’Roses zweimal hintereinander, sie findet das Solo zunächst „really long“, beim zweiten Mal dann schon „awful long“. Die Musik ist voller Details, Männerstimmen skandieren im Hintergrund „Huh Hah, Huh Hah“, der Synthesizer dudelt Alberti-Figuren vor sich hin, am Ende des Stücks zitiert Regina Spektor eine Zeile der Dresden Dolls.

Ihr Klavierspiel hat wenig mit Pop und Jazz zu tun. Die Klanggestaltung und Dynamik erinnert an die großen Russen Mussorgski und Prokofjew. Mal glaubt man die Akkorde von Tschaikowskis erstem Klavierkonzert hören zu können, mal ein Zitat aus Bilder einer Ausstellung, mal einen Klang aus Leutnant Kijé. Einmal singt sie russisch.

Überhaupt ihr Gesang, es stimmt jeder Ton. Dass eine russische Jüdin auch den Blues singen kann, beweist sie mit Lady, da fällt sogar das Wort „blue“ auf eine Blue Note. Der Hotel Song ist eine perkussive Zwiesprache mit dem Schlagzeug, bei Après Moi wird sie von einem Schluckauf gebremst.

Begin To Hope ist etwas für Musikhörer, die Pop nicht mögen. Eben Anti-Pop.

„Begin To Hope“ von Regina Spektor ist bei Warner Music erschienen.

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