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Die große Wut

 

Christian Scott erzählt auf seiner Trompete von der Zerstörung seiner Heimatstadt New Orleans, vom Irak-Krieg und sozialer Ungerechtigkeit.

Scott Anthem

Der junge schwarze Trompeter Christian Scott wird hoch gehandelt in diesen Tagen. Beim North Sea Jazz Festival in Rotterdam interviewte er Wynton Marsalis, auf dem neuen Album von Prince spielt er ein Solo, und im nächsten Film von Steven Soderbergh ist er als Schauspieler zu sehen. Gerade ist seine zweite CD erschienen, Anthem.

Christian Scott kommt aus New Orleans, auf Anthem geht es um das Leben in der Stadt, die vom Wirbelsturm Katrina vor zwei Jahren teilweise zerstört wurde. Titel wie Litany Against Fear, Antediluvian Adaptian (Vor der großen Flut) und The Uprising sprechen eine klare Sprache. Im Schicksal von New Orleans spiegelten sich die großen Konflikte der Welt. Er sei kein politischer Musiker, sagt Scott. Die Regierung jedoch, die New Orleans tagelang im Stich ließ, sähe er gerne auf der Anklagebank – wegen Mordes.

Die Menschen dort seien immer noch aufgebracht. Es sei eine Schande, dass internationale Hilfsorganisationen sich einschalten mussten, während die eigene Regierung im Ausland teure Kriege um Öl führte. Die meisten schwarzen Menschen, die betroffen waren, verdienten zwischen 10.000 und 30.000 Dollar im Jahr, sie könnten sich oft kein eigenes Auto leisten und hätten keine Rücklagen, sagt Christian Scott. Man hätte sie vor der Sturmflut evakuieren müssen.

Er spricht von seinem musikalischen Konzept. Davon, dass die Gefühle eines Musikers nicht von den Inhalten zu trennen seien. Die Situation in New Orleans, der Irak-Krieg und die soziale Ungerechtigkeit in den USA machten ihn wütend, da könne er keine Party-Musik spielen. Es gehe ihm um Ehrlichkeit - sich selbst und dem Zuhörer gegenüber. Tief empfundener Protest und Unmut könnten sich aber unterschiedlich anhören, sagt Christian Scott. In seiner Musik lauert zwischen dem Ruhigen und Tradierten immer auch das Unberechenbare.

Vor sechs Jahren verließ er New Orleans, um Musik zu studieren. Heute lebt er in New York. Erst dort habe er bemerkt, wie beschränkt das Leben in seiner Heimatstadt war. Er verstehe, dass viele Menschen gar nicht mehr zurückkehren wollten, weil sie heute in anderen Städten besser und sicherer leben könnten. New Orleans sei gefährlicher als Los Angeles, sagt Christian Scott, Katrina habe das sichtbar gemacht.

Er wuchs auf mit HipHop, Prince und Michael Jackson, als Kind hatte er mit asiatischen und weißen Amerikanern zu tun. Die Segregationserfahrungen vieler afroamerikanischer Musiker machte er nicht. Sie waren gezwungen, mit anderen Schwarzen zu musizieren und entsprechende Verhaltens- und Sprachformen zu entwickeln. Christian Scott hingegen verspürt eine musikalische Freiheit. Sie möchte er auf Anthem zum Ausdruck bringen.

„Anthem“ vom Christian Scott ist erschienen bei Concord.

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