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Klangräume für Virtuosen

 
Erst sollte die Band Porcupine Tree nur ein Witz sein, dann rettete sie den Progressive Rock. Ihr neuntes Album „Fear Of A Blank Planet“ klingt ausufernd – wie es sich für das Genre gehört.

Porcupine Tree Blank Planet

Im Jahr 1987 beschloss der Brite Steve Wilson, mit seinem Freund Malcolm Stocks eine fiktive Rockband namens Porcupine Tree zu gründen, fiktive CDs zu produzieren und mit einer erfundenen Bandgeschichte auch an Wettbewerben teilzunehmen. Er konnte nicht ahnen, das aus diesem Witz eines Tages tatsächlich eine Band werden würde, die dem etwas in Verruf geratenen Genre Progressive Rock auf die Beine helfen sollte. Vier Jahre nach der Gründung erschien die erste richtige CD, mit Alben wie Signify (1996), Stupid Dream (1999) und Lightbulb Sun (2000) gewannen sie in der Folge ein immer größeres Publikum. Kürzlich erschien Fear Of A Blank Planet, ihr neuntes Studioalbum.

Unterstützt wird Steve Wilson seit Jahren von hervorragenden Musikern – unter ihnen der Spezialist für unerhörte elektronische Klänge, Richard Barbieri, der früher bei der Band Japan spielte. Steve Wilson schreibt die meisten Stücke, er ist ein guter Komponist, ein guter Gitarrist und ein passabler Sänger. Vor allem aber ist er ein hervorragender Produzent, in dieser Rolle sieht er sich selbst am liebsten. In seinen Kompositionen verarbeitet er Einflüsse aus altem Progressive Rock, Jazz, Minimal Music, Pop, Heavy Metal und Klassik.

Schon der Titel des neuen Albums Fear Of A Blank Planet verweist auf die Atmosphäre, die beinahe alle Kompositionen Steve Wilsons durchzieht. Eine spöttisch resignative, oft ironische und mitunter auch sarkastische Sicht auf die Dinge. Eingebettet sind diese Endzeit-Texte in Songs, die sich häufig aus winzigen Motiven zu ausgedehnten Klangprozessen entwickeln. Es gelingt Steve Wilson dabei stets, seine Band gleichberechtigt einzubinden, Porcupine Tree sind keine One-Man-Show mit Begleitmusikern. Selbst Gastmusiker wie Alex Lifeson von Rush oder Robert Fripp können sich nahtlos in das Klanggefüge der Band einpassen.

Anesthetize ist mit fast 18 Minuten das längste Stück der Platte. Solche Kompositionen bieten Virtuosen genug Raum und den Hörern manche Überraschung. So brechen aus den mäandernden Synthesizer-Klängen mitunter brachiale Double-Bass-Gewitter und scheppernde Gitarrenblitze hervor, die wenig später wieder von elegischen Elektronikklängen abgelöst werden. Das alles funktioniert dank gewisser Anleihen bei der klassischen Musik, hier und da tauchen Leitmotive und Reprisen auf.

Auch die Streicher fehlen nicht: In My Ashes haben sie die Aufgabe, einen sanften Hintergrund zu liefern. Bei Sleep Together ist das Streicherarrangement gespickt mit an Beatles-Songs wie Strawberry Fields Forever oder I Am The Walrus erinnernden Streicherglissandi, stellenweise spielen sie sich weit in den Vordergrund. Sleep Together ist ohnehin ein gutes Beispiel für die Produktionstechnik Wilsons. Aus heterogenem Material schmiedet er eine unverwechselbare Mischung: Beatles-Streicher, Heavy-Drums, ein Ostinato des Synthesizers, das den gesamten Song über vor sich hin murmelt, versonnene Keyboard-Motive, ein psychedelisches Gitarrenriff.

Diese Musik stellt Ansprüche an den Hörer, ganz sicher kann man sie nicht nebenbei hören. Wer von Rockmusik mehr erwartet als das übliche Drei-Minuten-Geschrammel auf elektrischen Gitarren, der ist bei Porcupine Tree bestens aufgehoben.

„Fear Of A Blank Planet“ von Porcupine Tree ist als CD und Doppel-LP erschienen bei Roadrunner/Warner Music

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