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Unterwasserbetrinken

 
Über die Jahre (35): Als in den neunziger Jahren die Musikszene Antwerpens explodierte, gelang es nur der Band dEUS, außerhalb der Grenzen Belgiens bekannt zu werden. Ihr zweites Album war ihr bestes: „In A Bar, Under The Sea“.

Deus In A Bar Under The Sea

In den Neunzigern war die Stadt Antwerpen ein Quell musikalischer Kreativität. Im Wochentakt sprudelten erfrischende neue Alben in die belgischen Plattenläden. Die Musik von Bands wie Kiss My Jazz, Evil Superstars, Moondog Jr., Think Of One, Lionell Horrowitz And His Combo und Die Anarchistische Abendunterhaltung klang so eigensinnig wie ihre Namen. Wer sie sehen wollte, musste zu ihnen kommen, wenige schafften es nach Deutschland. Viele stellten in Antwerpens Muziekdoos den Hut hin und spielten für Kleingeld.

Allein die Band dEUS wurde auch außerhalb Belgiens bekannt. Mit Suds & Soda landeten sie im Jahr 1994 einen Hit, von ihrem Debütalbum Worst Case Scenario verkauften sie weltweit rund 200.000 Stück. Dabei bestanden dEUS aus den gleichen Musikern wie all die anderen Bands. Die Musikszene Antwerpens schien aus kaum mehr als 30 Leuten zu bestehen, die sich in immerneuen Projekten zusammenfanden. Diese 30 Musiker gründeten so etwa 100 Bands. Welch ein Hühnerhaufen!

Die beiden kreativen Köpfe bei dEUS waren Tom Barman und Stef Camil Carlens. Barman gab den Sänger, der nicht singen kann, aber immerhin eine verrauchte Stimme hat. Er schrieb all die irren Lieder der Band, in denen sich Wohlklang und Narration mischten. Nebenbei arbeitete er als Filmregisseur. Carlens war der Mann fürs Grobe, mit einer Hand an der Quietscheente. Er krächzte, kreischte und spielte einen eleganten Bass. Sein kindliches Temperament stand der Ernsthaftigkeit Barmans entgegen. Carlens verließ dEUS im Jahr 1996, kurz nachdem sie ihr zweites Album In A Bar, Under The Sea aufgenommen hatten. Heute ist er Chansonnier mit einem Hang zur Weltmusik.

In A Bar, Under The Sea klingt, als hätten sich von der Sonne Enttäuschte in eine Bar am Meeresgrund zurückgezogen und sich fröhlich betrunken. Im Sinne Captain Beefhearts basteln sie Lieder aus Versatzstücken und Zitaten, wunderschönen Pop garnieren sie mit Defektem. Die Anlehnungen an Beefhearts Musik sind offensichtlich: Das grummelnde Theme From Turnpike löst sich in manischem Getrommel auf, es folgt Little Arithmetics, ein luftiger Popsong der sich wiederum tösend zerfasert. In dieser Bar läuft die Uhr auch mal seitwärts. Hier unten haben dEUS ein vielseitiges Album ersonnen, noch heute überrascht ihre Liebe zum Detail. Die Klangfarbe ist bunt, jeder Stil wird angespielt und mit einem Sinn für die Dramaturgie ins stimmige Ganze eingebaut. Das elegische Präfinale Dissapointed In The Sun erklärt dann gar das Gelage im kalten Nass.

Wie man mit solcher Musik zu Weltruhm gelangt, bleibt das Geheimnis der Band. Die Siebziger waren immerhin lange vorbei, als In A Bar, Under The Sea erschien. dEUS gibt es noch heute, dieser Tage erscheint ihr neues Album Vantage Point. Neben Tom Barman ist von damals nur noch der Keyboarder Klaas Janzoons dabei.

„In A Bar, Under The Sea“ von dEUS ist im Jahr 1996 bei Island/Universal erschienen.

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(34) Miles Davis: „On The Corner“ (1972)
(33) Smog: „The Doctor Came At Dawn“ (1996)
(32) Naked Lunch: „This Atom Heart Of Ours“ (2007)
(31) Neil Young: „Dead Man“ (1996)
(30) The Exploited: „Troops Of Tomorrow“ (1982)

Hier finden Sie eine Liste aller in der Serie erschienenen Beiträge.

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