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Im Walzertakt durchs Mondgedöns

 
Die in London lebende Iranerin Leila Arab schert sich nicht um Moden. Ihr Album „Blood, Looms And Blooms“ ist ein surrealer Ritt durch den Märchenwald.

Leila

Es zischt und kracht in Leila Arabs Laboratorium. In Reagenzgläsern sind die Zutaten ihres musikalischen Gebräus, stehen in einem alten Holzkasten an der Wand und sind miteinander verkabelt. Wie eine Klang-Alchemistin geht sie zu Werke, detailverliebt mischt sie eine Prise von diesem und jenem hinein.

Im Jahr 1998 hängte sie ihre Beschäftigung als Keyboarderin bei Björk und Galliano an den Nagel. Fortan nahm sie als Leila eigene Platten auf. Die große Zeit des TripHop war schon ein Weilchen vorbei, Disco-House dominierte die Tanzböden. Doch Leila scherte sich nicht um Moden: Sie veröffentlichte ein Album voller sperriger Miniaturen, die psychedelische Musik auf Like Weather konnte man durchaus TripHop nennen.

Nach ihrem zweiten Album Courtesy Of Choice war Funkstille. Die Trauer um ihre kurz nacheinander verstorbenen Eltern lähmte Leilas Kreativiät sieben Jahre lang. Ab und an arbeitete sie noch als Mischerin für Björk und als DJane, doch erst im vergangenen Jahr konnte sie wieder Musik aufnehmen. Ihr drittes Album Blood, Looms And Blooms erscheint nun.

Auf der Hülle inszeniert sich Leila als entschlossenes, kleines Mädchen und geht mit dem Bonanza-Fahrrad auf Mondfahrt. Durch einen verwunschenen Märchenwald saust sie, dort wuchern Elektronenröhren und anderes Gedöns. So surreal geht es auch musikalisch zu.

In dem Stück Little Acorns klingt das nach verspieltem Dancehall-Pop mit Kinderstimmen. Oder, höre Carplos, nach Filmmusik der frühen Achtziger, nach den bedrückenden Kompositionen John Carpenters. Seaming, eine Sängerin aus Manchester, hüpft in The Exotics durch die Oktaven, als gelte es Yma Sumac die Referenz zu erweisen, der großen Dame der Exotica.

Leila selbst singt nicht, sie lässt singen. Neben dem ehemaligen Sänger der Ska-Band The Specials Terry Hall tritt Martina Topley-Bird ans Mikrofon. Und auch Leilas Schwester kommt zu Wort: Roya Arab singt Daisies, Cats And Spacemen zu einer Habanera.

Da sind Walzer, südamerikanisch anmutende Klavierstücke, Synthesizer singen wie Delfine. Blood, Looms And Blooms klingt trotz seiner erstaunlichen Ideenvielfalt nicht überfrachtet. Gibt es etwas Schöneres als Musik, die überrascht? Zugänglicher ist Leilas Musik geworden, Tanzhits sucht man noch immer vergebens. Und über die fade Interpretation des Klassikers Norwegian Wood kann man milde hinwegsehen.

Der Vorwurf, dies klinge alles ein wenig überholt und biete musikalisch nicht viel Neues, wird an der selbstbewussten Komponistin abprallen. In ihrer Wundertüte sitzt der Entdeckergeist – und das kleine Mädchen auf seinem altmodischen Fahrrad winkt uns vom Mond zu.

„Blood, Looms And Blooms“ von Leila ist als CD und Doppel-LP bei Warp/Rough Trade erschienen.

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