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Utopien im Nebel

 
David Grubbs‘ Musik hat eine poetische und eine politische Ebene. Er besingt die Künstlerexistenz, wirft viele Fragen auf. Und lässt sie unbeantwortet

Im Grenzgewässer zwischen Romantik und Realität schwimmt ein Boot. Töne schallen von dort herüber. Holz knirscht, ein Mast quietscht, eine Stimme verneigt sich vor der Dämmerung. Der Tag gehört der Utopie. Doch die Tage werden kürzer – hat die Utopie eine Zukunft?

Das ist eine der Fragen, die David Grubbs‘ neues Album An Optimist Notes The Dusk dem Hörer stellen könnte. Grubbs‘ Sprache ist ein offenes Englisch, frei assoziiert, frei interpretierbar. Und seine Musik ist weitläufig wie die See.

Grubbs nimmt die Gitarre, stellt hin und wieder ein Schlagzeug dazu. Eine Trompete schallt im Einklang mit den Saiten, doch nur für einen kurzen, verhaltenen Moment. David Grubbs‘ Stimme strahlt Wärme aus. Manchmal klingen seine Stücke wie die Abstraktionen eines Seemannsliedes. Die Musik des Titelstücks biegt sich wie im Sturm, so als versuche sie mit aller Macht, Oberwasser zu behalten. Da wird deutlich: Sie hat eine ästhetische und poetische, aber auch eine politische Ebene.

Ist sie das leidige Thema amerikanischer Intelligenzia in der Bush-Ära? Lebt man als Künstler innerhalb einer Gesellschaft oder ist man vielmehr Teil eines globalen Dorfes, bewohnt von Gleichgesinnten? Und wird diese Beschaulichkeit nicht zur Scheinwelt, spätestens wenn man die eigenen Kinder zur Schule bringt?

Aufgewachsen ist David Grubbs in Kentucky, bereits mit vierzehn Jahren erregte er Aufsehen mit seiner Punkband Squirrel Bait. Mit den nachfolgenden Projekten Bastro und Gastr del Sol dekonstruierte er Pop und Rock. Als aus Chicago der Post-Rock hinüberschwappte, war Grubbs einer der wichtigsten Klangarchitekten der Bewegung. Im Jahr 1999 zog er nach New York und wurde Professor für Radio- und Klangkunst. Regelmäßig schrieb er Musikkritiken für die Süddeutsche Zeitung. Sein eigenes Label Blue Chopsticks ist eine Schnittstelle zwischen bildender Kunst, Musik und Literatur.

An Optimist Notes The Dusk wirft viele Fragen auf. Deren Antworten liefert Grubbs nicht. Sie liegen im grauen Nebel, in den uns das letzte Stück der Platte führt. The Not-So-Distant ist eine rein elektronische Komposition, deren synthetische Klänge sich so langsam entwickeln, dass Zeit und Raum keine Rolle mehr spielen. Zwölf Minuten, die all die menschliche Wärme von Gitarre und Stimme vergessen machen.

„An Optimist Notes The Dusk“ von David Grubbs ist auf CD und LP bei Drag City/Rough Trade erschienen.

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