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Des armen Mannes Orgel

 

Der Bandoneonspieler Klaus Paier und die Cellistin Asja Valcic haben das außergewöhnliche Album “À Deux” aufgenommen. Ihre unbekümmerte Spielfreude ist hochgradig ansteckend

Ein gewisser Wilhelm Seyffardt soll in den fünfziger oder sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts sein Bandoneon in einer Hafenkneipe am Rio de la Plata verschachert haben, weil er seine Zeche nicht zahlen konnte. In seiner Heimatstadt Krefeld hatte der Musiklehrer Heinrich Band diese Form des Akkordeons entwickelt, sie sollte armen Kirchengemeinden ein Orgelersatz sein. In Deutschland spielte kaum jemand dieses Instrument, dank Seyffardt – und anderen deutschen Einwanderern – gelangte es in die Bordelle Argentiniens und traf dort auf den Tango, der auf seinem Weg aus den Armenvierteln Südamerikas in die eleganten Kaffeehäuser Europas und zurück ebenfalls dort Station machte.

Spuren des Tango durchziehen das Album À Deux von Klaus Paier (Bandoneon und Akkordeon) und Asja Valcic (Cello), am deutlichsten in Titeln wie Argentino (klassischer Tango) oder Tango Loco (Tango Nuevo à la Astor Piazzolla, samt Zitat aus dessen Libertango). Daneben sind Einflüsse von Musette und Liedhaftem, Volksmusik grob balkanesischer Richtung, Klassik und Jazz auszumachen. Unterschwellig rockt es – denn nichts klingt einer saftigen Stromgitarre so ähnlich wie ein herzhaft gestrichenes Cello. Wer Konzerte des Duos besucht hat, erzählt von einer Wohnzimmeratmosphäre, in der der Schweiß in Strömen fließt.

Das Fachblatt Akkordeon Magazin bescheinigt Klaus Paier eine „revolutionäre Spielweise“. Zu hören ist, dass er sein Instrument klassisch-gründlich beherrscht, und nuancenreich und trennscharf intoniert. Nachzulesen ist, dass er seit seinem achten Lebensjahr daran arbeitet, dem Akkordeon die typischen Unschärfen in der Phrasierung und die erdrückende Dichte auszutreiben. So ersann er eine besondere Koordination des Balges und darauf abgestimmte Arrangements, eine eigene Klangsprache, die seinen einfallsreichen Stilmix erst ermöglicht.

Paier nennt einige der großen Pianisten und Bassisten des Jazz als seine wichtigsten Inspirationsquellen: von Thelonious Monk über Charles Mingus bis Keith Jarrett. Gleich danach kommt Dino Saluzzi, der ihn in den Stilen des Tango Nuevo und am Bandoneon unterrichtete. Die stilistische Mehrspurigkeit ist Programm: Schon während des Akkordeon-, Jazz- und Kompositionsstudiums am Klagenfurter Konservatorium experimentierte Paier mit Klassik und zeitgenössischer Musik. Er spielte mit dem Saxofonisten Gerald Preinfalk experimentelle Moderne, im Trio mit Stefan Gferrer und Roman Werni Jazz und mit herkömmlichen Streichquartetten klassisch – bevor er zum radio.string.quartet.vienna kam. Das Streichquartett ließ mit eigenen Arrangements von Fusion-Stücken John McLaughlins und seines Mahavishnu Orchestra aufhorchen und arbeitete dabei ähnlich wie jetzt Paier und Valcic: klassische Spielkultur verbinden sie mit jazznaher Improvisationsfreude zu kammermusikalischer Intimität.

Asja Valcic erwarb ihre instrumentalen Grundlagen an der Musikakademie im heimatlichen Zagreb. Am Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium, der University of Massachusetts und der Musikhochschule Detmold machte sie sich mit unterschiedlichen Spielweisen vertraut. Sie nahm Sonaten von Schostakowitsch und Schnittke auf, ihre Serenaden von Martinu ernteten im Jahr 1998 einen Preis der deutschen Schallplattenkritik. Wenn Valcic alleine spielt, klingt es manchmal, als musiziere ein Quartett: Elegante Linien überlagern extreme Rhythmik, da wird geschlagen, gezupft, und geklopft. Asja Valcic gehört zur Stammbesetzung des radio.string.quartet.vienna, mit dem Paier mehrfach als fünfter Mann spielte und zuletzt das Album Radiotree aufnahm.

Zusammen haben Paier und Valcic ein auf unspektakuläre Weise außergewöhnliches Album eingespielt. Zwei großartige Instrumentalisten in eigenwilliger Kombination mischen Klänge und Stile auf ebenso unbekümmerte wie leidenschaftliche Weise. Ihr Album À Deux ist tänzerisch tändelnd bis leidenschaftlich tobend, spielerisch unernst bis düster melancholisch. Da geht es nicht um protzige Virtuosität, sondern um den Spaß an der Spielfreude – und die steckt selbst solche Hörer an, die mit dem Akkordeon bislang gar nichts anfangen konnten.

„À Deux“ von Klaus Paier und Asja Valcic ist bei ACT/Edel erschienen.

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