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Ein Irrtum namens Heike

 

Püppchen mit Bigband: Wie Heike Makatsch an ein paar Studionachmittagen Hildegard Knef in Harald Juhnke verwandelte

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In schwerer Zeit gibt es gute Nachrichten: Heike Makatsch hat Gesangsunterricht genommen – eine famose Idee nach ihrer Verunstaltung von Tammy Wynettes Schnulze Stand by Your Man in Detlev Bucks Männerpension.

Der Grund dafür: ein Film über Hildegard Knef (Hilde) und das marketinggerecht dazugeschusterte Album, der perfekte Anlass, um in Aberdutzenden von Interviews die Phrasendreschmaschine schnurren zu lassen. Ein „Wagnis“ sei sie eingegangen, eine „Herausforderung“, sagt Makatsch; sie habe sich „weit aus dem Fenster“ gehängt, in Hildes „Herz geblickt“, etwas von der Knef „begreifen“ wollen, das sie „transportieren“ könne.

Nur, was? Laut Presse-Waschzettel hat Makatsch Knefs Original-Mikrofon, ja, sogar den Studio-Hocker der 2002 verstorbenen Diva benutzt, doch begreift sie ebensowenig wie Bernd Eichinger, wenn er in Der Baader-Meinhof-Komplex sogar die Pop-Platten Baaders der historisch überlieferten Reihe nach ins Set-Regal räumen lässt.

Für Hildegard Knef galt, was der Songwriter Johnny Mercer (Moon River) über die Vokalkünste Robert Mitchums gesagt hat: „Und wenn mal eine Note zu hoch für ihn ist – na und, da spielt er einfach drüber hinweg.“ Knef konnte nicht singen, aber Songs inszenieren – nicht umsonst hat Ella Fitzgerald sie einmal als „beste Sängerin ohne Stimme“ bezeichnet. Im rauh verschliffenen Timbre der in Berlin aufgewachsenen Nachkriegsdiva widerklingt stets ein sanft schulterzuckender, zwischen Brecht/Weill und Cole Porter, Amüsement und Abgrund pendelnder Fatalismus:

Es kommt, wie es kommen muss
Erst kommt der erste Kuss
Dann kommt der letzte Kuss
Dann der … Schluss.

In Knefs Song-Interpretationen verbinden sich Lebenshunger und Melancholie, Verzweiflung und Optimismus zu einem unnachahmlichen Amalgam, in dem sich die Befindlichkeit einer ganzen Nation bündelt – ein deutsches, meisterhaft phrasiertes Liederbuch, geprägt von einer chansontypischen Ironie und Abgeklärtheit, die hierzulande noch immer alles andere als selbstverständlich ist.

In Interviews zur Werbekampagne weist die ehemalige Video-Ansagerin Makatsch unermüdlich auf die „Seelenverwandtschaft“ zwischen ihr und der Knef hin – obwohl sie natürlich „ihre eigene Hilde“ habe finden müssen. Tatsächlich hat sie nichts weiter als die Kölner WDR-Bigband entdeckt, die Makatschs kulleräugige Knef-Mimikry mit bräsigem Kursaal-Geplätscher untermalt.

Spätestens wenn die geborene Düsseldorferin mit Berliner Schnauze so richtig auf Omas Frivolitäten-Pauke haut, wird ein für allemal klar, dass sie aus dem Oeuvre der Knef exakt das macht, was Harald Juhnke mit den Showroom-Klassikern Frank Sinatras anzustellen pflegte. Makatsch klingt nur weniger besoffen.

„Hilde“ von Heike Makatsch ist bei Warner Music erschienen.

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