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Berauscht am Echten

 

Bisher traf man den Hamburger Christian Naujoks meist in angesagten Clubs. Jahrelang saugte er Töne ein – nun modelliert er auf seinem Debütalbum das Gehörte in geduldige Miniaturen

Christian Naujoks
 
Von dem Album: Christian Naujoks Dial Records (2009)
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Das Wort Naujok beschreibt im Litauischen „das ziemlich Neue“. Dem Preußen sind Naujoks die Torfbauern. Und in Hamburg lebt Christian Naujoks. Er ist ein Partylöwe, ein geselliger Mensch. Meist findet man ihn am Tresen angesagter Kneipen oder beim DJ.

Nun hat Christian Naujoks selbst ein Album gemacht. So etwas kann bitter schief gehen, denn die Anwesenheit auf vielen Partys allein macht noch keine gute Idee. Doch Naujoks bringt auf seinem Debüt nicht etwa die postkoitale Depression und dem Nachtleben entspülte Leere zum Klingen. Nein, er nahm Unberechenbares auf. Nie weiß der Hörer so ganz genau, wo er sich gerade befindet – und erst recht nicht, wohin er in den folgenden Sekunden versetzt wird. Genügsam berauscht sich Naujoks am Echten.

Aufgeräumt und geduldig sind die versammelten Miniaturen, groß ihr Gestus. Filmische Akkorde am Klavier erinnern an Philipp Glass, die Marimbas an Steve Reich. Die Beiläufigkeit der Musik hat Naujoks bei Erik Satie und John Cage gelernt. Direkt zitiert er Bob Dylan und New Order – es wird versatzstückt, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist. Das Ergebnis ist nicht neu, aber eigensinnig, regelrecht krude.

Sparsam ist die Instrumentierung, ein jeder Ton darf verhallen. Und zwischen den Mikroereignissen wird durchgeatmet. Christian Naujoks erzeugt ein ständiges Aufsichwirkenlassen – anhalten, neu denken, weiterspielen. Ideen werden angerissen und verlassen, Skizzen zu einem Album collagiert.

Einige Stücke wurden mit Tobias Levin produziert, andere nicht. Die ersten sechs Titel sind instrumental, danach hebt sich doch die Stimme zu getragenem Pop. In Bar 27 singt er gar allein mit Kathedralenhall. Light Of The Ranges flimmert wie ein vorbeiziehender Bahnhof. Bloom ist ein verlangsamter House mit verwirrender Betonung. Wie ein derangierter Kunststudent raunt Naujoks da kaum Verständliches, Phrasen von der „Ästhetisierung des Alltäglichen“ und den „Gestaltungsebenen“ – gruselig und komisch zugleich. Und zum Schluss hackt er den ganzen ätherischen Klang in Stücke, drischt die Musik in den Torf und zerrt Baby Blue über die verstimmte Gitarre.

Grundsätzlich scheint es nichts Grundsätzliches zu geben in Christian Naujoks klanglicher Welt.

Das unbetitelte Debütalbum von Christian Naujoks ist auf CD und LP erschienen bei Dial/Rough Trade

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