Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Ein Dorf namens St. Pauli

 

Das Hamburger House-Label Smallville hat eine fiktive Kleinstadt geschaffen, in der alle Welt klönt, Tee trinkt und anschließend tanzt. Bis ganz plötzlich ein neuer Tag beginnt.

Mal über Musik reden: Vor dem Plattenladen auf St. Pauli (© Smallville)
Mal über Musik reden: Vor dem Plattenladen auf St. Pauli (© Smallville)

Kleinstädte haben es wahrlich nicht leicht. Ständig sind sie Vorurteilen ausgesetzt. Eines der gängigsten lautet: Sie miefen und sind bevölkert von piefigen Menschen. Verbreitet ist es vor allem unter piefigen Großstädtern.

Es geht allerdings auch anders: In Hamburg gibt es seit etwa vier Jahren einen Plattenladen, der die Sympathie für Kleinstädte bereits im Namen trägt. Er heißt Smallville und liegt mitten in einem innerstädtischen Dorf namens St. Pauli, in einer Seitenstraße der Reeperbahn. Betrieben wird er von Julius Steinhoff, Just von Ahlefeld alias DJ Dionne und Peter Kersten, in der House- und Techno-Szene unter den Namen Lawrence und Sten bekannt.

Die Atmosphäre im Laden ist nicht miefig und piefig, sondern auf eine angenehme Weise schluffig. Den Besuchern von Smallville geht es häufig um mehr als nur das Stöbern nach neuen Platten: Viele schauen auch zum Klönen, Abwarten und Teetrinken vorbei. So ergeben sich Bekanntschaften, es entwickeln sich musikalische Ideen, und mitunter werden diese Ideen dann auf Vinyl gepresst und auf dem hauseigenen Label Smallville Records veröffentlicht.

Die Gründung der Plattenfirma im Jahr 2006 sei eine logische Folge des kreativen Rumhängens im Laden gewesen, sagt Julius Steinhoff. Das Motto klingt so luxuriös wie einfach, es entspricht dem Credo des sechs Jahre älteren Schwesterlabels Dial: Gemacht wird, was gefällt. In den Wandregalen des Ladens erkennt man die Smallville-Platten den den windschiefen Zeichnungen des Hamburger Künstlers Stefan Marx schon von weitem. Marx gestaltet auch die Flyer für die regelmäßigen Smallville-Partys und bemalt die großflächigen Ladenfenster – wäre Smallville ein profitorientiertes Unternehmen, man würde wohl von Corporate Design sprechen.

Platten, schön und aufgeräumt (© Smallville)
Platten, schön und aufgeräumt (© Smallville)

Zwei Alben und 16 Vinyl-Maxis umfasst der Katalog des Labels mittlerweile, die zehn neuesten Stücke sind auf And Suddenly It’s Morning versammelt. Unaufgeregt pochen, pumpen oder gleiten sie vor sich hin, ohne großes Auf und Ab, frei von Kraftmeierei. Mal beziehen sie ihren Reiz aus dem subtilen Aufschichten kleiner Verspultheiten, wie im Falle von Lowtecs Meandyou.dub, dann wieder, etwa in Our Life With The Wave von Dimi Angélis und Jeroen Search, aus dem Spiel mit der Weite des Raumes. Achtzig Minuten lang geht das so. Achtzig Minuten, in deren Verlauf man irgendwann die Zeit vergisst – und am Ende stellt man erstaunt fest, dass sich die Nacht in Smallville dem Ende zuneigt und schon wieder der Morgen anbricht.

Natürlich ist dieses alte Euphorieversprechen von House und Techno auch andernorts schon x-mal eingelöst worden, die Genres werden hier weder neu erfunden noch neu interpretiert. Und doch erzählt And Suddenly It’s Morning eigene Geschichten: von Nächten in Hamburger Clubs wie dem Golden Pudel oder dem Uebel & Gefährlich. Von freundlichen Menschen in einem familiären Plattenladen auf St. Pauli. Und nicht zuletzt auch vom Klang einer Stadt.

Ein typisches Hamburg-Album also?

So einfach ist die Sache dann doch nicht. Schließlich sind etliche der beteiligten Musiker anderswo beheimatet: Lowtec kommt aus Schmalkalden, Move D aus Heidelberg, Sven Tasnadi aus Leipzig, Dimi Angélis und Jeroen Search leben in Amsterdam. Und die musikalischen Spuren führen nicht selten in die Vergangenheit, nach Detroit und Chicago. And Suddenly It’s Morning ist deshalb nirgendwo so recht zu Hause – außer in der fiktiven Kleinstadt, die Julius Steinhoff und Peter Kersten auf dem Fundament ihrer Idee von Gemeinschaft errichtet haben.

Eine typisches Smallville-Album also.

„And Suddenly It’s Morning“ ist erschienen bei Smallville Records.