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Sag mir, wo das Trauma liegt

 

Nach einem Unfall wurde Charlotte Gainsbourg in einem Magnetresonanz-Tomografen untersucht. Auf ihrem neuen Album „IRM“ singt sie von dieser unheimlichen Erfahrung.

Die Sängerin und Schauspielerin Charlotte Gainsbourg (© Paul Jasmin)
Die Sängerin und Schauspielerin Charlotte Gainsbourg (© Paul Jasmin)

Magnetresonanz-Tomografien sind üblicherweise kein Thema für Popsongs. Charlotte Gainsbourg nennt ihr drittes Album trotzdem IRM – so lautet die französische Entsprechung des Kürzels MRT.

Die Schauspielerin und Sängerin erlitt 2007 bei einem Wasserski-Unfall eine Gehirnblutung und wurde deshalb mehrfach in der von Patienten gefürchteten stählernen Tonne untersucht. Doch das gespenstische Dröhnen und Klopfen des Geräts war auch eine Quelle der Inspiration.

Zu einer an Portishead erinnernden Musique Concrète aus dem Krankenhaus beschreibt Charlotte Gainsbourg im grandiosen Titelsong IRM ihre Erfahrung als Patientin: „Leave my head demagnetized, tell me where the trauma lies„. Maschinenhaft klingt das, getrieben und verstört, ein gelungener Kontrast zu dem eher lieblichen letzten Album 5:55, das die Band Air für sie in ihrem typischen Wölkchen-Sound produziert hatte.

Charlotte war mit Beck im Studio (© Paul Jasmin)
Charlotte war mit Beck im Studio (© Paul Jasmin)

Diesmal ist nämlich der Kalifornier Beck der Kollaborateur. IRM entstand unmittelbar nach den Dreharbeiten zu Lars von Triers Antichrist, für den Gainsbourg in Cannes eine Goldene Palme erhielt, und bisweilen glaubt man, die Düsterkeit des Films zu spüren. Im geisterhaft sehnsüchtigen Vanities etwa, wo die Streicher so unfassbar klingen wie Nebel über einer nächtlichen Waldlichtung. Dabei entstand das Album im sonnigen Los Angeles.

Nicht nur das Duett Heaven Can Wait scheppert und rollt so folkrockig, als gehöre es eigentlich auf ein Beck-Album. Charlotte Gainsbourg hat die traumatischen Ereignisse in ihrem Leben offenbar sehr unterschiedlich verarbeitet. Dunkle Exorzismen, wie das von afrikanischen Trommeln getriebenen Voyage, überzeugen dabei mehr als die Versuche, heitere Leichtigkeit zu simulieren.

„IRM“ von Charlotte Gainsbourg ist erschienen bei Warner Music. Auf ihrer Website gibt es den Titelsong als freien Download.

Dieser Text wurde gedruckt in der ZEIT Nr. 49/2009.