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Der Disco-Fälscher

 

Al Kent aus Glasgow liebt die Tanzmusik der Siebziger. Sein Album „Secret Sounds“ klingt perfekt alt und ist doch ganz neu.

© BBE Records
© BBE Records

Al Kent ist Fälscher.
Nun, eigentlich ist Al Kent DJ. Er liebt alles zwischen Soul und Disco – das beseelte Wimmern von Marvin Gaye, die schwitzigspröden Tanzkracher von Arthur Russell, die bassigen Gewürzmischungen der Temptations, das behände Wummern von François Kevorkian.

Und doch wurde Al Kent es vor einigen Jahren müde, den warmen Herzschlag der Sechziger und Siebziger aus den immergleichen, alten Rillen zu kratzen.

Also baute er seine eigene Discoplatte. Er nahm sich ein Orchester, zwei Jahre lang scheuchte er die rund 20 Musiker des Million Dollar Orchestras von New York nach Detroit und zurück. Im Jahr 2008 schließlich erschien Better Days, das erste gemeinsame Album.

Und das Orchester hatte seinem Namen in zweierlei Hinsicht alle Ehre gemacht: Einerseits war Al Kent pleite, seine Ersparnisse von Studiomieten und der Entlohnung der vielen Musiker aufgebraucht. Andererseits war Better Days ein großartiges Album geworden. Es katapultiert uns in das New York der späten Siebziger, in die Studios von Salsoul Records, in die Feiertempel der schwulen Subkultur. Es regt uns zu erstaunlichen Verrenkungen auf der Tanzfläche an. Dabei war Al Kents Weg nach New York kaum kürzer als unserer, denn er heißt eigentlich Ewan Kelly und stammt aus Glasgow. Better Days kaschierte 5000 Kilometer und 30 Jahre.

Nun bittet Al Kent ein zweites Mal zum Tanz, er hat es ein bisschen günstiger hinbekommen. Secret Sounds entstand nicht im Studio sondern vor allem bei Kent zu Hause. Die Blechbläser und Chöre sind verschwunden, die Streicher kommen aus dem Synthesizer. Sie alle klangen verdammt gut auf Better Days – aber sie waren zu teuer. Das Album erscheint bei BBE Records, das steht für barely break even, es rechnet sich fast.

Man kann es den Beteiligten nur wünschen. Denn auch ohne die 20 Helfer bringt Al Kent das Herz der Disco zum Pochen. Der Bass hüpft und holpert, die Gitarren scheddern und schreddern, das Schlagzeug dengelt und dongelt. Ja, auch Secret Sounds klingt perfekt alt, als sei kein Tag vergangen, kein bisschen glatt. Man mag es kaum glauben, dass diese Platte gerade eben erst aufgenommen wurde.

Die besten Fälscher sind eitel. Sie schaffen perfekte Kopien, nicht zu unterscheiden von Originalen – und arbeiten schließlich doch irgendein Detail heraus, um das Kunstwerk zu ihrem eigenen zu machen. Al Kent verschneidet die neun Lieder mit Samples, hier das Knacken einer Leerrille, dort Ausschnitte aus einem reichlich hölzernen Interview mit dem DJ Jellybean. Er wird gefragt, weshalb der DJ die wichtigste Person in der Disco sei. Na, warum wohl.

Zu Beginn von Disco Sex berichtet ein Fernsehsender von dem Trend, Discoplatten zu verbrennen, angefeuert vom DJ brüllt das Publikum „Disco Sex„, es klingt wie „Disco sucks!“ – Disco nervt. Später sind Schnipsel betulicher Werbejingles für lokale Discos eingestreut und eine kurze Würdigung des Hall-Knöpfchens am DJ-Pult, Reverb Is Your Friend. So viele Referenzen an das Genre bringen den Kunstkenner zum Schmunzeln.

Der Fälscher hat sein Ziel erreicht.

„Secret Sounds“ von Al Kent ist auf CD bei BBE/Alive erschienen. „Better Days“ erschien im Jahr 2008 ebenda auf CD und Doppel-LP.