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Die Disko-Despotin

 

Imelda Marcos herrschte an der Seite ihres Mannes 20 Jahre lang auf den Philippinen. Sie liebte den Luxus – und die Disko. David Byrne und Fatboy Slim haben ihrem Aufstieg und Fall einen tanzbaren Liederzyklus gewidmet.

© Nonesuch Records


Wie wird man Despot? David Byrne wollte es wissen. Er recherchierte, schrieb ein paar Songs, dann rief er Fatboy Slim an, weil der sich doch mit Beats so gut auskennt. Und Beats waren wichtig für das, was Byrne vorhatte: ein Konzeptalbum über eine Despotin, die Diskomusik liebt.

Zwanzig Jahre lang haben Imelda und Ferdinand Marcos das Volk der Philippinen unterdrückt und ausgebeutet. Imelda, die zwar aus angesehener Familie stammte, aber in Armut aufwuchs, ließ es sich gut gehen dabei: Tausende von Schuhen, Handtaschen und anderem Luxus-Plunder wurden nach ihrer Flucht 1986 gefunden. Auf dem Dach des Palastes befand sich eine Freiluft-Disko. Auch ein Stockwerk ihres New Yorker Stadthauses hatte Imelda, gern gesehener Stammgast des Studio 54, in einen Club umbauen lassen. Komplett mit Diskokugel.

Here Lies Love erzählt von Imelda Marcos‘ Aufstieg und Fall in 22 Liedern. Es singen Florence Welch, Tori Amos, Steve Earle, Natalie Merchant, Santigold, Cyndi Lauper, Kate Piercon und etliche andere. Wer nun aber ein dramatisches Werk erwartet über eine finstere Gestalt der Weltgeschichte, wird sich wundern: Vom ersten Takt an herrschen Streicher, schmeichelnde Melodien und sanft groovende Latin- und Disco-Rhythmen vor, so leicht und luftig, dass man sich fast zwingen muss, hinzuhören, bei so viel Mid-Tempo-Heiterkeit.

Ist das die Musik der Macht? Aber sicher! David Byrne will uns verführen. Despoten sind böse, ihre Lieder aber süß. Weil Here Lies Love aber auch kein echtes Musical sein soll, sondern ein Zyklus von Stimmungsstücken, verkneifen sich Byrne und Fatboy Slim Zuspitzungen oder dramatische Höhepunkte. Das kann dazu führen, dass man diese Platte achtlos an sich vorbei rauschen lässt.

Erst wenn man das Booklet zur Hand nimmt mit Byrnes knappen Erläuterung zu jedem Song, zeigt sich, wie geschickt dieses Porträt zusammen gesetzt ist. Jeder Song reflektiert einen Moment in Imeldas Leben; vor allem die Wahl der jeweils zuständigen Sängerin ist bestechend. Cyndi Lauper berichtet, wie Ferdinand Marcos um Imelda warb (Eleven Days). Die nervöse Róisín Murphy intoniert Don’t You Agree? über Imeldas rastlosen Wahlkampf im Dienste ihres Gatten („He’ll build a house, I’ll decorate„). Die britische Soul-Sängerin Alice Russell übernimmt, als Imelda betrogen wird (Men Will Do Anything) und die Songschreiberin Natalie Merchant klagt über Order 1081, mit dem das Kriegsrecht verhängt wird. Jedes Stück ist Imelda auf den Leib geschnitten.

Und dann ist da Sharon Jones‘ raumgreifende Funk-Stimme in Dancing Together, einem herrlich groovenden Song über das Jetset-Leben – kein Luxus, findet sie, sondern ein Opfer, das Marcos bringen muss für ihr Volk, denn die Menschen brauchen ein leuchtendes Vorbild: „It must be us who truly serve!

Imelda stilisiert sich zur glamourösen Landesmutter. Nur in dieser Rolle kann sie die politische Rolle an der Seite ihres Mannes verbinden mit ihrem eigentlichen Wunsch – ein schöner, beliebter, reicher Star zu sein. Sie verlor zuerst das Maß aus den Augen und dann die Realität. Am Ende versteht sie nicht, warum man sie aus dem Land jagt: „I gave you my life, I gave you my time, what more could I do?„, singen Tori Amos und Cyndi Lauper in einem ebenso unwahrscheinlichen wie reizvollen Duett. „Why don‘t you love me? Why? Why? Why?“ Ein Konzeptdoppelalbum, politisch, psychologisch, exzentrisch – das hätte fürchterlich schief gehen können. Ist es aber nicht. Seit seinem Abschied von den Talking Heads hat David Byrne nicht mehr derart unwiderstehliche Popsongs geschrieben.

„Here Lies Love“ von David Byrne und Fatboy Slim ist erschienen bei Nonesuch/Warner.