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Genie oder Spinner?

 

Sufjan Stevens wollte alle US-Bundesstaaten vertonen. Das wurde nichts. Jetzt legt er stattdessen ein Album und eine EP vor, deren Folkpop zu allem fähig ist.

© Asthmatic Kitty

Sufjan Stevens ist ein verdammtes Genie.

So, jetzt ist es raus. Und steht da so hingeschrieben und gefährlich, denn vielleicht ist es ja auch falsch. Denn vielleicht ist Sufjan Stevens auch nur ein verdammter Spinner.

Wer mag das schon entscheiden. Wer mag überhaupt den Überblick behalten über das Schaffen des 35-jährigen Musikers aus Michigan. So ausufernd ist sein Werk, so musikalisch weitschweifend, so eklektisch zwischen Folk-Traditionen, Avantgarde und all den schönen Möglichkeiten, die der technische Fortschritt dem Musiker zur Verfügung stellt.

Stellvertretend für seine ganze Karriere taumelt Stevens auch auf seinen beiden aktuellen Veröffentlichungen zwischen diesen Extremen. Das Album The Age Of Adz wird begleitet von All Delighted People, das zwar offiziell als Download-EP geführt wird, also als eine Art Minialbum, aber mit einer Spielzeit von nahezu einer Stunde länger ist als manches Standard-Album.

Ein erstaunlicher Ausstoß für einen Künstler, der sich noch im vergangenen Jahr in einem Interview frustriert selbst fragte, ob das Musikmachen denn noch einen Sinn ergebe dieser Tage, in denen der Tod des Albums bevorstehe. Das Ende eines Formats, dem Stevens immer wieder mit konzeptuellen Veröffentlichungen huldigte: Vom vergleichsweise schnöden Weihnachtsalbum bis zu der größenwahnsinnigen Unternehmung, über jeden US-Staat einen eigenen Song-Zyklus schreiben und aufnehmen zu wollen.

Das Fifty States Project ist nach Michigan (2003) und dem allseits gefeierten Illinois (2005) zwar vorerst ins Stocken geraten, aber auch The Age Of Adz ist kein herkömmliches Album. Verfolgt es doch, außergewöhnlich für Stevens, kein Konzept, fasst dafür aber sehr schön sein bisheriges Wirken zusammen. Immer sind seine Songs tief verwurzelt in amerikanischen Traditionen, im Folk und im Country, aber noch nie hat Stevens, auch dank der Unterstützung der Rockband The National, so stark einem orchestralen Sound vertraut und ihn dann wieder mit Spielereien aus dem Computer aufgelockert.

Die patinabesetzte Sehnsucht nach sonnenversengten Baumwollfeldern steht nun neben dem Stroboskop-Flackern eines nächtlichen Clubs, die Leichtigkeit eines Pophits neben der Mühsal des Verkopften. Das Ergebnis sind Songs, die oft mächtig, ja vielleicht sogar großkotzig daherkommen. Songs, die andeuten, dass sie zu allem fähig wären, aber dann fast ein wenig arrogant diese Möglichkeiten auslassen. Songs, die kurz vor der Angst dann doch lieber Nebenaspekte ergründen, um sich schließlich langsam in allerwundervollstem Wohlgefallen aufzulösen.

Auf All Delighted People gibt sich Stevens ein wenig handfester, vor allem aber pophistorisch gebildet. Der Titelsong ist eine nahezu zwölf Minuten währende Kammerpop-Sinfonie, die sich vor den Beatles aus der Sgt.-Pepper-Phase verneigt. Aber anschließend klimpert Stevens einen vergleichsweise konventionellen Folksong auf der akustischen Gitarre runter, um kurz darauf mit Antony Hegarty und seinen androgynen Elfengesängen zu konkurrieren.

Das geht also von hier nach dort und wieder ganz woanders hin, und der kleinste gemeinsame Nenner ist wohl: Alles ist möglich. Oder eben auch: Genie oder Spinner.

„The Age Of Adz“ und „All Delighted People“ von Sufjan Stevens sind erschienen bei Asthmatic Kitty/Soulfood