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Soul, Sex und Blues

 

Über die Jahre (61): Ein Ausnahmesänger in der Form seines Lebens: Was Johnnie Taylor 1972 auf der Bühne des Summit Club bot, ist ein Konzert für die Ewigkeit.

© Sony

Warum Johnnie Taylor im August 1972 aus dem Line-Up des legendären Wattstax-Konzerts gestrichen wurde, ist nicht bekannt. Gut möglich, dass er Isaac Hayes, seinem Kollegen und Rivalen bei Stax Records, einfach nicht gönnte, dass er das Ereignis im Coliseum von Los Angeles als Schlusspunkt beenden durfte. Immerhin war damals Taylor und nicht Hayes der Star des Labels. Jedenfalls fehlte Taylor an diesem Abend. Aber was für ein Glück! Denn er spielte statt dessen ein eigenes Konzert im nahe gelegenen Summit Club – und legte einen Auftritt hin, wie man ihn selten erlebt.

Erst 2007 brachte Concord, der neue Besitzer des Konkurs gegangen Stax-Labels, den ganzen Mitschnitt als CD heraus. Was man auf Live At The Summit Club zu hören bekommt, ist nicht einfach ein Konzert, das Stück für Stück voranschreitet, sondern ein Abend, der sich ereignet – mit einem Ausnahmesänger in der Form seines Lebens. Taylor trägt seine Lieder nicht bloß vor, er schimpft, singt, schreit, schmachtet und zischt, er flirtet und er hadert, mal mit dem Publikum, mal mit der Band.

Vielleicht lag es am Publikum. Taylors Auftritt wurde für den Dokumentarfilm Wattstax mitgeschnitten, und jener kurze, aber heftige Ausschnitt, der schließlich in den Film aufgenommen wurde (Jody’s Got Your Girl), belegt: Stammgäste des Summit waren, wie es im Booklet heißt, „fur-lined players and ice-cold hustlers“ aus der Halbwelt des schwarzen Los Angeles. Zuhörer also, die man lieber nicht enttäuschen möchte.

Vielleicht lag es aber auch an der Band. Das ausgezeichnete, aber kurzfristig zusammengewürfelte Orchester (es passte kaum auf die Bühne) leistet sich nämlich einige grobe Patzer. Immer mal wieder muss Taylor die Musiker ermahnen („Put a little spice in this thang, we’ve been draggin‘ here all night!„). Die Verstimmung zwischen ihm und seiner Band frustriert den Sänger hörbar – und treibt ihn, quasi überkompensierend, zu Höchstleistungen an.

Die Atmosphäre ist aufgeladen – mit einer Erotik, die nicht schwül ist oder geschmeidig wie bei Isaac Hayes oder Marvin Gaye, sondern schmutzig, maskulin, roh, und doch oft lässig, als wäre es Swing. Das liegt nicht allein an der Glut in Johnnie Taylors wandlungsfähiger Stimme, es liegt an seiner Musik überhaupt: Wie kaum einem anderen gelang dem Philosopher of Soul, wie man ihn nannte, die Verschmelzung von Sex und Schwermut, von Verführung und Sehnsucht – von Soul und Blues.

Wenn Taylor auf der Bühne dann dem Funk noch freien Lauf lässt, ist eine heftige Mischung angerührt. Man höre nur das rasende Steal Away, das unerbittlich nach vorn gehende Jody’s Got Your Girl oder das schwelende Hello Sundown mit seinen schleppenden Bläsersätzen: Fast zehn Minuten lang arbeitet Taylor sich durch dieses Blues-Monster, verwickelt das Publikum in ein mitreißendes call-and-response, duelliert sich improvisierend mit dem Saxofonisten, setzt dann wieder vorne an – lachend, fauchend, balzend beherrscht Taylor den Summit Club wie ein Priester seine Kirche. Wohl kaum jemals waren sich Soul, Sex und Blues so nah wie an diesem Abend. Ein Abend für die Ewigkeit.

„Johnnie Taylor – Live At The Summit Club“ ist 1972/2007 erschienen bei Stax Records/Concord.