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Der Jugend ist zum Kotzen

 

Auf ihrem Debütalbum ruft die Band 206 eine „Republik der Heiserkeit“ aus. Grimmig und doch hoffnungsvoll macht das Trio aus Halle seiner sozialen Unzufriedenheit Luft.

© Ralf Kornmann

Für ein Gefühl der Melancholie, eine Ahnung von Perspektivlosigkeit, für einen tragfähigen Mix aus Weltschmerz, Wut und Rebellion braucht es manchmal nicht mehr als einen kleinen Basslauf. Da reichen schon drei Noten, ganz monoton zum aufgebrachten, gar nicht mal tobsüchtigen Gesang heruntergezupft, um den Gemütszustand einer Avantgarde des Aufbegehrens zu verstehen. Und die ist alles andere als gut gelaunt.

Denn während drei Viertel, vier Fünftel, ach, fast alle, die so gern unter „musikalischer Jugend“ subsumiert werden, fröhlich konsumierend dem Niedergang entgegenträllern, greift der kleine Rest zum Saiteninstrument und verwandelt zornigen Schwermut in grimmige Hoffnung auf etwas völlig Anderes.

„Einen neuen Zusammenschluss“, schlägt Timm Völker vor, „die Idee einer Republik“. Nicht mehr und nicht weniger sei das Konzept des Debütalbums seiner Post-Punk-Formation 206. Und weil das doch ein wenig altbacken klingt, akademisch, popuntauglich jedenfalls, hat sie die Staatsform ihrer Platte kryptisch ergänzt. Republik der Heiserkeit heißt sie und will zusammenführen, was zusammengehört: Die Unzufriedenheit der Menschen im Ist-Zustand nämlich, wie es der singende Gitarrist nennt, mit der zugehörigen Tonlage. Kein Wunder, dass die nicht gefällig daherkommt.

Republik der Heiserkeit ist das derzeit wohl nachdenklichste all der kampfeslustigen Angebote im deutschsprachigen Gitarrenrock: 14 analoge Stücke in Moll, 14 basslastige Bestandsaufnahmen gesellschaftlicher Zustände, 14 Mal viel Text gegen Lounges, Nazis, Geschichtsvergessenheit, all so was.

Musikalisch irgendwo zwischen Von Spar und 1000 Robota, Palais Schaumburg und den Goldenen Zitronen, teilt sich das Trio aus Halle auch deren inhaltliche Ausrichtung entlang von Konsumkritik und Klassenkampf, ergeht sich dabei aber nie in Lyrik, Pathos oder Parolengebrülle. „Was bleibt mir anderes übrig als mit meiner Armut anzugeben“, singt Timm Völker in Goldjunge und meint damit sicherlich keinen Arbeiterstolz.

Es ist der Gestus einer Jugend, die schnell, zu schnell erwachsen geworden ist. Die mit Anfang 20 dunkle Pullover und schwarze Krawatten trägt, nicht nur, weil es cool ist, sondern angemessen. Deren Gesichter selten von Ausgelassenheit und Übermut zeugen, sondern von Grübelei und Trotz. Das nimmt ihrer Musik jede Leichtigkeit, jeden Leichtsinn, aber auch die Beliebigkeit.

206 machen Gedankenpunk, nur dass Völker, sein Bassist Leif Ziemann und ihr präziser Schlagzeuger Florian Funke nicht wirken wie 1,2,3,4-Rock’n’Roller, geschweige denn wie Trendrevolutionäre der Marke Telekommander. Sie finden das alles hier tief im Inneren zum Kotzen, wischen danach aber auf.

Sie sind die Jäger, Sammler und Übersetzer einer aufgestauten Depressivität. Das hyperaggressive Kratzer to the Top zu Beginn gleichberechtigt neben dem Titelstück am Schluss, ein einzelner Basslauf nur. Mehr braucht es nicht. Nicht an dieser Stelle.

„Republik der Heiserkeit“ von 206 ist erschienen bei ZickZack.