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Ist der Bieber ein Android?

 

Supertalent oder bemitleidenswertes Automatenkind: Die Musikkritiker sind sich uneinig, wie sie Justin Bieber im Film „Never Say Never“ einschätzen sollen. Eine Presseschau

© Paramount Pictures

Spätestens jetzt grassiert in Deutschland das oft beschworene Bieber-Fieber. Am Donnerstag lief der Dokumentarfilm Justin Bieber 3D – Never Say Never in den Kinos an. Ein großes Thema, nicht nur für Bravo und Bild, sondern auch für die Feuilletons. Dieser 17-Jährige bewegt so viele Mädchenherzen, dass Erwachsene ihn nicht mehr ignorieren können.

„Wer den heutigen Justin Bieber zum ersten mal sieht und hört, kann ihn schnell für ein Retortenprodukt halten“, schreibt Cosima Lutz in der Welt. Er ist es nicht. „Kein jahrelang geschliffenes Produkt der Disney-Teen-Pop-Maschine“, fügt Tobias Rapp im Spiegel hinzu.

Aber was ist er denn? Jenni Zylka bekräftigt ihre Zweifel an Justin Bieber in der taz: Ist er ….
1. „Einfach nur ein musikalisch absolut hochbegabter Teenstar mit nicht viel außer Musik in der Birne […]?“
2. „Das Machwerk eines subtil arbeitenden Managers […]?“
3. „[…] Der erste echte Pop-Android?“

Der Film lasse den Zuschauer ratlos zurück und seine Gedanken zu anderen begabten Kinderstars schweifen: „Michael Jackson ist tot, Aaron Carter ist in der Reha, Lindsay Lohan meist auch. Aber die letzteren zwei waren eindeutig weniger talentiert“, schreibt Zylka.

Die Nähe zu Michael Jackson ist offensichtlich. Sowohl er als auch Bieber waren schon als Kleinkinder hochmusikalisch. „Bloß der militärische Drill, den Jackson erlitt, blieb Bieber offenbar erspart“, schreibt Sebastian Leber im Tagesspiegel. Ist es wirklich so, oder will uns das der Film nur glauben machen? „Kann so einer“, fragt Leber, „[…] ein halbwegs normales Leben führen?“

Möglicherweise können seine Mutter und die große familiäre Entourage ihm ein kleines Reservat des Altersgemäßen in einer Erwachsenenwelt erhalten. Die dargestellte christliche Demut und jugendliche Unbeholfenheit lassen Justin Bieber tatsächlich sympathisch wirken. „So ist an dieser Musiker-Karriere am wichtigsten vielleicht das, was er nicht gelernt hat: Erfolg mit Liebe zu verwechseln und deshalb panische Angst vor dem Misserfolg zu haben“, schreibt Cosima Lutz weiter.

Dieter Bartetzko entgegnet in der FAZ: „Was immer er tut, er scheint zu fragen: ‚Das macht man doch in meinem Alter so, oder?'“ Er hält die Normalität Biebers für simuliert. Der Halbwüchsige werde „als Automat der Ausbeutung und Selbstausbeutung“ kenntlich. Never Say Never sei ein schäbiger Film, der das Triviale und das Erhabene, das Öffentlichste und das Intimste kurzschließe. „Eine Studie der Wunderkindtragödie, wie wir sie von Mozart bis Menuhin, Judy Garland bis Michael Jackson kennen.“ Bieber sei ein vergeudetes Talent, das, trete keine Wende ein, im rasenden Leerlauf enden dürfe.

Talent hin oder her, seine Musik allein rechtfertige den ganzen Hype nicht, fährt Cosima Lutz fort: „Es ist ein fast schon ärgerlich flacher Boygroup-Pop.“ Sie hat recht. Man vergleiche nur die Dokumente von Biebers strahlender Musikalität, wie sie auf dem YouTube-Kanal seiner Mutter zu finden sind, mit den dumpfen Songs, die sein Debütalbum an die Spitze der Charts brachten. Im Korsett des zielgruppenoptimierten Kaugummipop kann sich seine Stimme nicht entfalten.

Doch wie Alexander Josefowicz im Hamburger Abendblatt schreibt, orientiere Bieber sich gerade neu: „Die Mechanismen des Geschäfts scheinen auch Justin Bieber klar zu sein. […] Auf dem Cover der aktuellen US-Ausgabe des Rolling Stone ist er mit strubbeliger, weniger braver Frisur zu sehen, er spricht über seinen Freundin und über Sex.“

Sollte er sein Teeniestar-Image tatsächlich gegen das einen volljährigen Supertalents eintauschen können und dabei auf dem Teppich bleiben, könnte noch Großes kommen. Michael Jacksons Tragödie muss sich nicht zwangsläufig wiederholen. Tobias Rapp beschließt seinen Artikel etwas fatalistischer: „Das Elend kommt immer, darauf ist Verlass. Never Say Never zeigt die glücklichen Momente davor.“

„Mit Twitter und Talent“: Hier lesen Sie die Rezension von ZEIT ONLINE zu „Justin Bieber 3D – Never Say Never“