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Darum vermissen wir Amy Winehouse

 

Die 24-jährige Joss Stone singt auf ihrem neuen Album, als müsse sie ein Kind gebären. Sie verwechselt stimmliches Gequetsche mit Authentizität und beeindruckt nur durch Biederkeit.

© Dave Stewart

Manchmal sind die Emotionen tief in einem drin ganz unausstehlich verworren und überbordend. Der normale Mensch versucht durch ein bisschen äußere Ruhe sein Inneres wieder ins Lot zu bringen. Oder er rennt blöde herum und schlägt den Kopf gegen eine Wand. Oder er brüllt ganz schauerlich, dass es anderen das Herz zusammenzieht. Joss Stone aber singt. Ach was, sie lässt ihre Seele singen. Aber spricht die Seele, wissen wir seit Friedrich Schiller, dann spricht sie ja schon lange nicht mehr.

Das Problem ist: Joss Stone hat eine neue Platte auf ihrem eigenen Label herausgebracht. Dave Stewart, Gründer der Eurythmics, hat sie in Nashville sehr schmockrockig produziert, und es ist offenbar so viel Leidenschaft im Spiel, dass es kein Mensch aushalten kann. Die Soulsängerin buhlt auf diesem Werk unter größter Gefahr für ihre Stimmbänder um den seit langem vakanten Titel „Rockröhre“. Manchmal hört es sich an, als müsse sie ein Kind gebären, und keinen Song: Sie presst und presst die Töne heraus, damit auch nicht das kleinste Gefühl, das da in ihr schlummert, verborgen bleibt. Es ist arg, und man vermisst Amy Winehouse noch mehr, wenn Joss Stone auf LP1 so unbedingt Aretha Franklin, Tina Turner und Janis Joplin in einer Person sein will, zuweilen aber nur rüberkommt wie Bonnie Tyler.

Es fing ja einmal harmlos an. 2003 war das Jahr, als nach all den sich langsam totlaufenden R’n’B-Acts und gecasteten Sängerdarstellern der Soul zurückkehrte. Joss Stone, gerade 16 Jahre alt, veröffentlichte ein Album mit dem im Nachhinein manifesthaft zu lesenden Titel The Soul Sessions, und nur einen Monat später legte Amy Winehouse mit Frank nach. Stone schoss mit ihrem Debüt augenblicklich in die oberen Regionen der Charts, während Winehouse noch drei Jahre warten musste, ehe sie mit Back To Black der jüngeren Kollegin zeigte, wo der Hammer hing.

Die Retro-Soul-Welle überschwemmte Ende der Nuller Jahre auch den Kontinent – neben Stone und Winehouse machten Duffy und Adele und noch ein paar andere von sich reden, und plötzlich erschienen die sechziger Jahre wieder ganz nah. Stone wurde von bekannten Produzenten hofiert und von anderen Stars mit Lob überschüttet. Dass die junge Sängerin trotz all dieser Elogen ein eher braves Leben abseits von Klatschblättern und exzessiven Auftritten führt, dürfte sie charakterlichen Dispositionen verdanken.

Aber es sagt auch ein bisschen etwas über ihre Musik: Die ist auf der neuen Platte von einer beeindruckenden Biederkeit. Kein Wunder, dass Stone nebenbei auch Teil der neu gegründeten „Supergroup“ SuperHeavy um Mick Jagger und Dave Stewart ist. Joss Stone macht eindeutig Musik für alte Männer, die dieses stimmliche Gequetsche mit Authentizität verwechseln. Wo Amy Winehouse sich stets der Künstlichkeit ihres Tuns bewusst war und damit zugleich eine aufgeklärte Coolness ins Spiel brachte, wirkt bei Joss Stone jeder Ton gerade wegen der Betonung des Authentischen komplett erlogen.

Es gehe ihr um künstlerische Freiheit, sagt sie immer wieder in Interviews, um Ausdruck und um die Seele der Musik. Das tut ihr, der Musik, leider gar nicht gut. Joss Stone hat, wohlgemerkt auch als Sängerin, zu viel Talent. Sie sollte lieber ein wenig genialischer werden.

LP1 von Joss Stone ist erschienen bei Neo/Stone’d Records/Surfdog Records/Sony Music.