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Die musikalische Ermächtigung der schwarzen Frau

 

Trotzig, kraftvoll, zärtlich: Das neue Album der Soulsängerin Jill Scott ist ein wahres „Womanifest“. Sie gibt dem weiblichen Selbstbewusstsein anrührende Töne.

© Warner Music

Jill Scotts The Light Of The Sun könnte gut und gern das Album sein, auf das Amy Winehouses Fans bis zum Schluss vergeblich gewartet haben. Auch hier potenzieren sich Retro-Soul und Hip-Hop zu großem Emotionstheater, auch hier geht es um eine Bestandsaufnahme der Narben, die das Leben schlug. Und doch verkörpert die afroamerikanische Soulsängerin aus Philadelphia ein Gegenmodell: geerdeter Optimismus statt Todessehnsucht, Selbstbewusstsein statt Selbstquälerei.

Schon das Cover, auf dem sie als Vamp mit Afro-Frisur und Sonnenbrille posiert, hat etwas Kämpferisches. „Struggle’s gonna happen„, singt sie: Kampf ist unvermeidlich. In den vier Jahren seit ihrem letzten Album durchlebte Scott eine Scheidung, eine kurze Liebesaffäre, die ihr einen Sohn hinterließ, und die Erfahrung, als alleinerziehende Mutter kaum noch Zeit für das Musikmachen und ihre andere Leidenschaft, die Schauspielerei, zu finden. Stoff genug für ein Melodram – Scott aber zählt im Opener Blessing all die Segnungen ihres Alltags auf, vom hübschen Sohn, über den Beistand ihrer Eltern bis zum gesunden Nachtschlaf.

Schon Who Is Jill Scott? Words And Sounds Vol.1, das 2000 erschienene Debüt der Spoken-Word-Künstlerin und vormaligen Backgroundsängerin der Hip-Hop-Band The Roots tönte komplexer als all die Anmachnummern ihrer Rhythm-’n‘-Blues-Konkurrenz. Instant-Gratifikation liefert Scott auch auf ihrem vierten Album selten. Und doch entwickelt The Light Of The Sun einen hypnotischen Sog. Jill Scotts ungefilterte Emotionalität wirkt so anrührend wie die Ohrenbeichte einer zutiefst vertrauten Freundin.

Dabei ist sie auf keinen Stil festgelegt: Mal klingt die sinnlich verpackte Sozialkritik von Marvin Gayes What’s Going On an, mal die Straßendichtung des Hip-Hop-Wegbereiters Gil Scott-Heron, mal der rotzige Emanzen-Rap von Queen Latifah.

Scott beherrscht souverän die Übergänge vom Sprechgesang zum Gospel-Pathos. Beeindruckend auch ihre Gefühlspalette: „Warum ignoriert mein Körper, was mein Geist mir sagt?“, klagt sie einmal trotzig angesichts einer gescheiterten Beziehung. Um im nächsten Song, Hear My Call, ein zärtlich-verzweifeltes Gebet an den Schöpfer nachzuschieben. Am Ende aber liegen Empathie und Didaktik nahe beieinander. Was sie zusammenhält, ist das Vertrauen in die Intuition.

Angesichts der Schreibblockade, die sie plagte, hatte Scott befreundete Musiker und Rapper im Studio zusammengetrommelt, ohne eine Idee zu haben, was sie sagen oder singen wollte. „Wir spielten uns gegenseitig Beats vor und improvisierten darum herum. Das hat mich befreit.“ Die gelöste, spontane Atmosphäre der Sessions hat sich auf das Album übertragen. Da hört man Studiogespräche und Gelächter, während die Rhythmen – manchmal mitten im Stück – wechseln. Hauptsache, Musik und Botschaft passen zusammen.

Einmal bürstet Scott über dem trockenen Hip-Hop-Beat von Shame unzulängliche Verehrer ab, dann lässt sie im jazzig synkopierten, nur von Bass und Schlagzeug getragenen Quick dem Ärger über ihren Ex freien Lauf, während All Cried Out (Redux) mit Honky-Tonk-Piano und mundgemachtem Beatbox-Rhythmus zum Tanz auffordert.

Am Ende nimmt man dieser Frau ab, wenn sie sich in Womanifesto als „verdammten Gangster“ hinstellt. „Gangster“, das meint im Fall von Jill Scott die sexuelle, psychologische und politische Selbstermächtigung einer schwarzen Frau.

„The Light Of The Sun“ von Jill Scott ist erschienen bei Blues Babe/Warner.
(Blues Babe/Warner)

Aus der ZEIT Nr. 32/2011