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Bloß nicht Papas Chansons!

 

Charlotte Gainsbourg singt wieder. Auf dem neuen Album „Stage Whispers“ macht sie sehr deutlich, dass sie das musikalische Erbe ihres Vaters Serge nicht antreten will.

© Warner Music Group

War ja bekanntlich grade wieder Weihnachten. Was da zurückbleibt, sind nicht nur zusätzliche Pfunde, die man nicht haben wollte, und ein paar Geschenke, die man nicht brauchen konnte, sondern oft auch die Erkenntnis: Man wird seine Familie einfach nicht los. Eine Erkenntnis, für die Charlotte Gainsbourg wohl kein Weihnachten braucht. Als Schauspielerin wird sie stets mit ihrer Mutter Jane Birkin verglichen. Versucht sie sich wie nun mit Stage Whisper wieder einmal als Sängerin, dann schwebt unweigerlich der Geist von Papa Serge vorbei.

Charlotte Gainsbourg – Out Of Touch

Stage Whisper ist denn auch so etwas wie die Zusammenfassung der wiederholten Versuche, das allzu große Erbe gar nicht erst anzutreten, sondern einfach zu ignorieren. So ist das Album zu einem seltsamen Zwitter geworden: Die erste Hälfte besteht aus neuen Studioaufnahmen, die zweite aus Live-Einspielungen mit Band. Die Studio-Tracks pluckern mal elektronisch, als bezögen sie sich auf ihr unter der Regie des französischen Produzenten-Duos Air entstandenes Debüt 5:55 von 2006.

Dann aber klimpern sie akustisch und folkig, erinnern eher an ihr zweites und bislang letztes Album IRM, das musikalisch vom US-amerikanischen Indie-Rock-Veteranen Beck Hansen verantwortet wurde.

Der Live-Teil schließlich, aufgenommen während Gainbourgs erster großer Tournee 2010, übt sich in vergleichsweise kernigen Rock-Posen und endet mit einer Version von Trick Pony, die allein auf die Macht eines satten E-Gitarren-Riffs baut.

So disparat das alles sein mag, in einem sind sich doch all die verschiedenen Inkarnationen von Charlotte Gainsbourg einig, nicht nur weil sie nur sehr selten Französisch, sondern so gut wie immer Englisch singt, weil sie nicht Lieder ihres Vaters interpretiert, sondern lieber Just Like A Woman von Bob Dylan: Mit Chanson, ob dem klassischen oder dem von ihrem Vater modernisierten, will die mittlerweile auch schon 40-Jährige ganz und gar nichts zu tun haben.

Das kann man nicht nur hören, das soll man auch sehen. Schon das Cover signalisiert, dass sie das Familienerbe ausschlagen möchte. Ein schlichtes Scharz-Weiß-Foto, wahrscheinlich von einem Konzert, schmückt die CD-Verpackung, leicht unscharf, eher grobkörnig, etwas schemenhaft und vage, fast dokumentarisch, anti-glamourös, Authentizität suggerierend. Ein Bild, das sich eben demonstrativ nicht fügt in jenes laszive, erotisch aufgeladene Kindfrauenschema, in das sich französische Sängerinnen bis heute allzu leicht wegsperren lassen.

Sieht man sich das Foto noch einmal an, erinnern Frisur und Ausdruck von Charlotte Gainsbourg, in dem Moment, den der Fotograf hier eingefangen hat, in verblüffender Weise an Patti Smith. So stellt sie sich also doch in eine Traditionslinie. In der tauchen Frauen auf wie Marianne Faithful, die ebenfalls Ballast abgeworfen haben, um zu respektierten Sängerinnen zu werden. Und sie führt zu einer Leslie Feist, an deren Stimme die von Gainsbourg tatsächlich bisweilen erinnert. Und weil sich die Zeiten verändert haben, darf man zu Weihnachten mittlerweile die Familie außen vor lassen und sich einfach ein paar gute Freunde einladen.

„Stage Whisper“ von Charlotte Gainsbourg ist erschienen bei Warner.