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Trümmerbruch in der Disco

 

Mal wieder die Ohren durchpfeifen lassen? Dieser elektronische Berserker namens Skrillex hat goldene Produzentenhände. Er ist völlig zurecht für fünf Grammys nominiert.

© Ethan Saks

Echte Stilbrüche muss man mutig vollziehen, sonst sind sie nutzlos. Sonny John Moore wagt sogar den Trümmerbruch, Tendenz zur Pulverisierung, die Umwertung aller Werte. Wenn seine Biografie nämlich nicht ebenso artifiziell ist wie seine Platten, muss der 24-Jährige vor gar nicht langer Zeit als Singer/Songwriter durch den Westen gereist sein. Ein Mann, seine Gefühle, die Wandergitarre – weiter könnte das Bild nicht von dem entfernt sein, was der elektronische Berserker unterm Künstlernamen Skrillex seit drei, vier Jahren veranstaltet.

Andererseits: Mit Worten ist auch seine klangliche Gegenwart kaum zu beschreiben. Brostep haben sich findige Labelsucher dafür ausgedacht, eine Art radikalisierter Dubstep, mit weniger unterschwelligem Bass, dafür umso mehr mittel- bis hochschwelligem Krach. Brostep ist ein tanzbares Chaos voller Klangfragmente, die eher miteinander ringen, als ineinander zu wirken, drei- bis fünfminütige Zuritte unzähmbarer Wildpferde, wenn man so will. Und Skrillex ist einer der besten Cowboys der Ranch.

Skrillex – First Of the Year (Equinox)

Nach dem weltweit beachteten Dance-Track Scary Monsters and Nice Sprites von der gleichnamigen EP, die am 12. Februar in gleich fünf Kategorien um Grammys kämpft, verdichtet er sein Talent zur Sortierung des Unsortierbaren jetzt noch ein wenig weiter. Denn seine fünfte Platte in gut zwei Jahren, die EP Bangarang, stellt in dem Unterfangen die vielleicht größte Ordnungsleistung der Popgeschichte dar: Durch die koordinierenden Hände dieses jungen Diskjockeys, der seine alten Schallplatten längst gegen Sequenzer, Kaossilator, Keyboard, Groovebox, also digitale Surrogate analoger Tonerzeugung getauscht hat, scheint tatsächlich ein Plan ins Durcheinander der Samples, Sounds und Instrumente zu geraten.

Und wenn das Prinzip elektronischer Töne in dieser Anordnung die strukturierte Verwirrung des Partyvolks ist, ein abendliches Tanzflächentrainingslager der Bauch-Verstand-Koordination, dann beherrscht Skrillex die ganz hohe Schule. Er macht aus dem akustischen Stahlbad eine erfrischende Klangdusche, die weder abstumpft noch einlullt. Sie spült einem die Ohren mit grobkörnigem Zeugs durch, aber nach Ohrenspülungen hört man bekanntlich besser.

Scary Monsters And Nice Sprites EP by Skrillex

Zuhause im Wohnzimmer, ohne das sensorisch sedierende Umfeld von Licht- und Bildershows, mag das so befremdlich wirken wie Rammstein zum Frühstück. Doch es lohnt sich selbst dann. Bangarang ist wie eine Fünf in Mathe, bei der alle Ergebnisse stimmen, aber kein Rechenweg. Man versteht – unter Einsatz von Alkohol, Adrenalin und was noch so berauscht – sehr genau, was Skrillez da mit uns macht: die frühen Chemical Brothers mit spätem Metalcore zu vereinen, Aphex Twin, The Prodigy und aktuelle AraabMUZIK mit Gitarren-Soli, Industrial-Geräuschen, R’n’B-Samples oder – wie in Breakn‘ A Sweat – sich selbst mit den ergrauten Psychorockern The Doors. Nur wie genau er das macht, bleibt uns verborgen. Egal.

Zumal er wenig Worte benötigt, um sein Publikum zu unterhalten. Der Sticker Parental Advisory auf dem morbiden Cover ist da so sinnvoll, als warnte ein Schild am Hochsicherheitstrakt vor gefährlichen Gefangenen im Innern: Weiß jeder, ändert aber nichts. Bei Skrillex weiß man wenig und es ändert alles. Solche Brüche machen Musik groß.

„Bangarang“ von Skrillex ist erschienen bei OWSLA/Big Beat.