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Lass es durchlaufen

 

Auf seiner neuen Platte mixt der Berliner DJ Fritz Kalkbrenner Funk, House und Hip-Hop. Offen bleibt dabei, ob das Musik für die Sitzecke oder den Club ist.

© Marie Staggat

DJs kennen das, DJs hassen das. „Kannste so durchlaufen lassen“, hören sie öfters, wenn ihnen jemand, der andere Beschallungsvorstellungen als die dargebotenen hat, auf Privatpartys eine CD aufs Pult legt. Gut, Fritz Kalkbrenner dürfte das kaum widerfahren, seit er die hippen Clubs des Kontinents beschallt. Aber DJs wie er sind eben in gewisser Weise mitschuldig an der Selbstentmündigung ihrer Branche durchs Publikum. Dann jedenfalls, wenn sie Platten machen wie Suol Mates, Auftakt einer CD-Reihe des Berliner Elektrolabels Suol. Man kann es so durchlaufen lassen.

Das zweite eigenständige Album des an Jahren und Popularität kleineren Bruders vom großen Paul Kalkbrenner ist nämlich nicht nur eine versierte, man könnte fast sagen: abgebrühte Kompilation verschiedener Stile von Funk, Soul, R’n’B bis Deep House, Beat Pop, Hip-Hop, dem ewigen Steckenpferd des Berliners. Der Produzent mischt all dies auch noch zur One-Track-CD ab: Die Übergänge sind fließend, die Stimmung ist lässig, der Beat treibend, das Ziel lautet – Disco.

Für daheim, für andere, aber für wo genau? Und für wen? Die Frage stellt sich beim strukturierten Elektro-House mehr als beim flächigen Techno, auf konzeptionellen Alben zudem mehr als auf den anknüpfungsfähigen Formaten EP und Maxi. Fritz Kalkbrenner fügt vom 79er Funk-Classic Johnson Jumpin über 13 Jahre alten Chicago House von Boo Williams bis zum neuen Neosoul When everything changed 18 Stücke anderer zu zwei eigenen Remixen wie Ruby Lee hinzu und kann sich doch nie entscheiden, ob er ein DJ-Set vor Publikum simuliert oder ein modernes Mixtape für zu Hause.

Somit hängt Suol Mates irgendwie haltlos zwischen Tanzhalle und Sitzecke. Intelligent montiert, mit viel Gespür für Nahtstellen und dem, was man Flow nennt und in jeder Feierabend-Lounge für Bewegung sorgt, wirkt es auf beiden Ebenen sonderbar deplatziert: im großen Kontext des Raves zu klein, im privaten des Home-Entertainments zu groß.

Aber vielleicht ist dieses Dilemma konservierten Partygefühls auf Tonträgern ja unauflösbar: Dem, was man in diesem Genre so durchlaufen lassen kann, fehlt oft das emotionale Element des DJs bei der Arbeit. Da hilft nur eins: Fritz Kalkbrenner live erleben und hoffen, dass er zwischen Boxentürmen mehr auslöst als beschwingtes Mitwippen.

„Suol Mates“ von Fritz Kalkbrenner ist erschienen bei Suol Music/Rough Trade.

Aus der ZEIT Nr. 12/2012