Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Spiel‘ den Schnitzel-Boogie!

 

Ein Nympherich in der Bibliothek: Ariel Pink gräbt in der Popgeschichte und fördert seine 17. Platte zutage. Noch immer ist er ein Hypnagoge oberster Kajüte.

Ariel Pink (rechts) und seine Haunted Graffiti (© Piper Ferguson)

Am Anfang sah alles danach aus, als ob Ariel Pink Maler werden würde. Doch so schnell der heute 34-Jährige mit dem Extremvokuhila in die Visual-Arts-Welt hineinkam, war er auch wieder draußen. Zu soziopathisch seien ihre Akteure, zu vertrottelt ihre Was-ist-Kunst-Diskussionen, zu krank und böse ihre wirtschaftlichen Verwertungsketten, gibt Pink, der eigentlich Rosenberg heißt, gern zu Protokoll, wenn er nach Gründen für seinen Wechsel in die Musik gefragt wird.

Er lebt in Los Angeles, hat lange geradezu notorisch fernab jeglicher Verwertungsketten musiziert und in den Nullerjahren ein knappes Dutzend Alben unter dem Namen Ariel Pink’s Haunted Graffiti veröffentlicht. Seine frühen Stücke klingen wie ein in miesester Qualität abgemischtes Pastiche aus vergilbtem Sechziger-Psychedelica-, Siebziger-Softrock- und Achtziger-New-Wave-Mainstream. Fleetwood Mac und Hall & Oates spiegeln sich darin, sein großes Vorbild Stevie R. Moore, und das post-geografische und post-historische Selbstverständnis der ersten Musikergeneration, die mit dem Internet als Massenmedium aufgewachsen ist.

Dass der Name Ariel Pink so regelmäßig im Zusammenhang mit Retrophänomenen fällt, hängt mit einem Diskurs zusammen, den Rosenberg nicht nur als Künstler, sondern auch als Kommentator mit angeschoben hat. „Hypnagogisch“ wurde darin bald zum Schlagwort für eine Musik, die wie ein Tagtraum voller diffuser Erinnerungen an vergangene Popepochen wirken sollte. Er wolle das Gefühl des erstmaligen, kindlichen Popmusikhörens fixieren, und dessen Erosion, kommentierte Pink seine früheren Alben. Eines trägt den Titel Worn Copy, und klingt wie eine leiernde, rauschende Kassette voller Lieblingssongs, die zu häufig abgespielt wurde.

Vielen galt Pink fortan als Pionier einer Musik, die nicht nur die Vergangenheit ausbeute, sondern diese Ausbeutung thematisiere. Sie sei nicht nur retrospektiv, sondern handle von Retrospektion, von den Formen und Bedingungen der Vergangenheitsvergegenwärtigung; Musik als „Artefakt“ der Erinnerung, wie Rosenberg es einmal nannte.

Mature Themes ist nun Ariel Pinks siebzehnte Veröffentlichung, und während die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit längst zu einem Kardinalthema des Pop geworden ist, hat er die konzeptuelle Lo-Fi-Trashigkeit seiner früheren Aufnahmen hinter sich gelassen. Das eröffnet neue Möglichkeiten. Mature Themes wurde wie das Vorgängeralbum in einem gut ausgestatteten Studio produziert, auf 4AD veröffentlicht und klingt für Pinks Verhältnisse geradezu hochpoliert.

Diese neue Klarheit betont nicht nur Rosenbergs Absurdo-Lyrics, beispielsweise über den Verzehr von Schnitzel (Schnitzel Boogie) oder den Mörder Klaus Kinskis (Kinski Assassin), sondern verstärkt vor allem die Wechselwirkungen zwischen Text und Klang seiner Pastiches. Der Titelsong des Albums wirkt wie eine idealtypische Sechziger-Jahre-Highschool-Ball-Fantasie, in der sich ein Girl ihren Boy so hysterisch herbeisehnt, dass sich ihre Sprache anachronistisch verformt („I solemnly devote myself to thee„). In The Symphony of the Nymph, einem abgehangenen Wave-Stück mit Beatles-Zitat, beobachtet Pink eine Nymphe in einer Disco. Im Laufe des Songs wird er selbst zu einer: „My name is Ariel and I’m a nympho, I’m also a lesbian„. Ein Experte im Gender Bending.

Auch auf Mature Themes arbeitet Ariel Pink weiter an seiner Vorstellung von Musik, die vom Hören und Verarbeiten älterer Musik handelt; im Stück Farewell American Primitive wird das am deutlichsten. Es stellt nicht nur einen Abgesang auf die USA als politische Hegemonialmacht dar, sondern auch auf die Hochphasen US-amerikanischer Popmusik zwischen 1965 und 1989, die Pink als unerschöpflicher Rohstoff dient. Nur seine Mittel sind vielfältiger geworden, nicht mehr auf eine schlichte Formel reduzierbar, und vor allem wesentlich besser hörbar. Wem der alte Ariel Pink trotz allem besser gefallen hat, der sollte das neue Album einfach auf einem möglichst alten, minderwertigen Kassettenrekorder abspielen.

„Mature Themes“ von Ariel Pink ist erschienen bei 4AD/Beggars.