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Druckstimmenlyrik zum Schlagzeugbrett

 

Wann hat es je so guten Punkrock aus Deutschland gegeben? Captain Planet singen über Zorn und Poesie, Mikrokosmos und Politik. Für alle, die noch was merken.

Benni Sturm, Marco Heckler, Jan Arne von Twistern, Sebastian Habenicht (© Fabian Pieper)

Pressstimmen haftet oft ein Makel an: der Makel mangelnden Selbstvertrauens und Charismas, gar fehlender Gesangskompetenz. Wer Jan Arne von Twisterns Druckstimme vom Kontext seiner Texte löst, könnte seiner Band Captain Planet all dies durchaus zum Vorwurf machen.

Wenn aber einer dem aufgestauten Ärger über die Welt da draußen derart freien Lauf lässt wie ihr Sänger, wer sein Organ dabei in solche Höhen presst – der sucht nicht nach dem richtigen Ton, nach Selbstvertrauen, Charisma, der hat etwas zu sagen.

Da mögen seine Worte noch so gepresst klingen, verkopft, fast kühl, als entsprängen sie im Hals, nicht im Bauch, wo die Leidenschaft lodert – entscheidend ist ja nicht, wo die Stimme herkommt, sondern wo sie hin will! Und von Twisterns will über das Hirn ins Herz und umgekehrt, durch die Brust ins Auge. So landet er auch auf dem dritten Album einen Volltreffer nach dem anderen.

Nach dem grandiosen Debüt Wasser Kommt Wasser Geht (2007) und dem soliden Nachfolger Inselwissen zwei Jahre darauf, bringt Treibeis nun abermals sozialkritische Alltagsprosa der denkbar emotionalsten, der fühlbar nachdenklichsten Art, nur noch emotionaler und nachdenklicher.

Damit nähern sich Captain Planet auf dem Feld rüden Emopunks ihrem unüberhörbaren Vorbild Turbostaat an. Jan Windmeiers ausnahmslos halsabwärts intonierte Wutstimme agitiert immerhin klüger gegen die Welt da drinnen als manch Liedermacher auf Burg Waldeck.

In diesem Spannungsfeld sind Captain Planet ein bemerkenswertes Hybrid. Versehen mit einem Wechselantrieb aus Zorn und Poesie, Mikrokosmos und Politik, dem ganz Privaten wie dem großen Ganzen, hasten sie mit pausenlosen Temporiffs und Schlagzeugbrett durch die Befindlichkeiten derer, die noch was merken. In einem System, das sie bewohnen, aber nicht unterstützen, das sie zwar ändern, aber nicht gleich stürzen wollen.

In den Texten ihrer elf neuen Songs wird eine „Stadt ohne Sprache“ schon mal zum Albtraum mit Hafen (Sand in den Augen), wo allerlei „Ketten zu durchbrechen“ und „Lücken zu besetzen“ sind (Nest), wo sich Tage des Betonkuschelns abends im „Bankautomatenmonitor“ spiegeln.

Da ist also viel Gentrifikationsgroll zu spüren und Metropolentristesse, Angst, Zweifel, oft im Chor gebrüllt. Druckstimmenlyrik. Aber es wird eben anders als im Genre üblich nicht knietief in Gewalt und Kotze von Bullenstaat und Schweinesystem gewatet, sondern von Essen gesungen, das „nicht mehr drin bleibt“. Dezenter geht es zu, oft lyrisch, stets subtil.

Vielleicht, weil da keine blutjungen Desperados ihre Chancenlosigkeit zelebrieren, sondern Thirtysomethings mit Kind, Kegel und Berufen das Prinzip trotzige Hoffnung. Jan Arne von Twistern zum Beispiel ist wie sein Gitarrist Benni Sturm Lehrer an einer Hamburger Gesamtschule. Nicht im Brennpunkt, nicht im Wattebausch-Viertel, eher im Mischbezirk mit allem, was eine Großstadt bevölkert.

Da muss man seine Stimme energisch einsetzen und sorgsam, mitfühlend und kraftvoll, mal laut, mal leise und immer selbstsicher genug, um alle zu erreichen. Punkrock, der das vermag – wann hat es so was je gegeben.

„Treibeis“ von Captain Planet erscheint am 12. Oktober bei Zeitstrafe. Alle aktuellen Konzerttermine hier