Hans Unstern ist der wohl talentierteste Skeptiker im deutschen Songwriterpop. Absurde Lügen, feiner Humor, Haar- und Wortdickicht schützen ihn vor der zudringlichen Welt.
„Objektiv betrachtet, ist das Einzige, was die Realität von Musik lernen kann: zu lügen und, jetzt kommt der wichtige Punkt dabei, dass es eben alle wissen“. Der Satz stammt aus einem Text, den der Berliner Musiker und begnadete Schwindler Hans Unstern geschrieben hat, um sich nicht mit Journalisten über sein soeben erschienenes zweites Album The Great Hans Unstern Swindle unterhalten zu müssen („Interviews haben eine Intimität, die ich nicht mag“).
Stattdessen beraumte er eine sogenannte „Presseperformance“ in den Räumlichkeiten des Merve Verlags an, bei dem vor einigen Wochen ein Büchlein mit (Song)Texten Unsterns erschienen ist, und ließ einen Schauspieler mit giftblauer Gelfrisur, der behauptete er sei Hans Unstern, über Bruchstücke aus Unsterns Text extemporieren, ganz so als würde er spontan Auskunft geben. „Text und Kritik“, erzählte der Schauspieler, damit Unsterns Text zitierend, der wiederum den Schriftsteller Rainald Goetz zitiert, „das wäre die Idee, wenn (…) das Buch selber die Antworten auf alle möglichen Interviewfragen geben würde“.
Wer ist eigentlich dieser Hans Unstern?, das – so merkt man spätestens an dieser Stelle – ist die sinnloseste Frage, die man jemandem stellen kann, der derart krampfhaft versucht, sich selbst aus seiner Musik auszuradieren, herauszukratzen, sich aus ihren Begleiterscheinungen herauszuinszenieren. In dem neuen Stück Hülle singt Unstern: „Am fremdesten bin ich mir immer noch / Wenn ich ganz eindeutig bin“.
Eine Festlegung dürfte jedoch erlaubt sein: Hans Unstern ist mit seinem Debüt Kratz Dich Raus zum größten Sprachskeptiker geworden, den das deutsche Songwritertum seit Langem hervorgebracht hat. „Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen“, schrieb Hugo von Hofmannsthal 1902 in seinem berühmten Brief des Lord Chandos an Francis Bacon, ein Vorläufer der hermetischen Lyrik der Nachkriegszeit. Genau in dieser Hinsicht und in dieser Tradition stehend war in Kratz Dich Raus die Verbindung von Sprache und Realität gekappt worden, was zu Zeilen führte, in denen man den Paul-Celan-Leser in Hans Unstern unschwer erkennen konnte: „Wälz dich entlang der Sümpfe / Wunder die Wege / Wiege die Krumen / Kratz dich raus“.
Auch in The Great Hans Unstern Swindle schwingt diese Skepsis mit, und noch viel mehr: Da Hans Unstern kein Lyriker sondern Musiker ist, betrifft sie auch seinen Sound. Seine acht neuen Stücke klingen so, als spiele er dagegen an, als Songwriter identifiziert zu werden, „der traurige Lieder singt“, wie er den oben erwähnten Schauspieler als Schlagersänger-Kunstfigur namens Hansi Stern in einem Video sagen lässt. Und obwohl er kaum in Gefahr steht, von fehlgeleiteten Dylanologen als lagerfeuerkompatibler Hobo-Bänkelsänger eingetütet zu werden, ist The Great Hans Unstern Swindle aufgekratzter und überraschender geworden, als man es sich hätte vorstellen können.
So klingt das Eröffnungsstück Ich schäme mich mit seinen überdrehten Yeah-Chören wie das Intro zu einer amerikanischen Fernsehshow der fünfziger Jahre, in Entweder & Oder psalmodiert Unstern mit dem hysterischen Idiom Schorsch Kameruns über ein grob übersteuertes Schlagzeuggeboller hinweg, und in dem abschließenden Bea Criminal bricht der Refrain wie eine Rockoper über den Song herein. Gerade diese Fallhöhe zwischen krachig und dezent, hysterisch und selbstversunken lässt jene von Akustikgitarren-Pling-Plang getragenen Schlichtheiten, wie die Stücke Hülle oder Posterboy, umso stärker wirken.
Hans Unsterns neues Album ist eine Feier des Uneindeutigen, ein „Schwarm Buchstabenmücken“, wie es an einer Stelle heißt, und selbst das Prinzip des Uneindeutigen wird ein paar Mal gebrochen, um ja keine Schematik zu erzeugen. Zumindest hat man an manchen Stellen das Gefühl, als schiene so etwas wie Klartext durchs Wortdickicht. „Klaut dieses Album nicht / Online / Klaut es im Kaufhaus / Hinterlasst weniger Spuren“.
„The Great Hans Unstern Swindle“ von Hans Unstern ist erschienen bei Staatsakt.
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Hans Unstern 2010 im ZEIT ONLINE Rekorder: