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Gitarrendruck statt Modernisierungsdruck

 

Endlich mal ein Comeback, das nicht nach Geldnot klingt: Auf „King Animal“ spielen Soundgarden so stark und metallisch verlötet, als hätten sie sich nie getrennt.

© Universal Music

Von allen fünf Sinnen baut unser Gehör am frühesten ab. Schon in jungen Jahren planiert das Grundrauschen moderner Zivilisation die Flimmerhärchen im Ohr, lange, bevor sich unsere Hornhaut krümmt, der Tastsinn erlahmt, Geschmäcker und Gerüche verfliegen. Für unser biografisches Empfinden ist es da ein Segen, dass viele Tonfolgen über den Umweg der Haut, des Magens, der ganzkörperlichen Aufnahme ins Langzeitgedächtnis dringen. Musik zum Beispiel lässt sich bekanntlich auch taktil empfinden. Besonders diese hier.

Denn es bedarf nur weniger Momente des ersten Tracks auf einer Platte, die lange Zeit keiner für möglich gehalten hatte, und alles ist wieder da: Diese stakkatoartigen Gitarrenflächen über einem kontradiktorisch vertrackten Schlagzeug, das unablässig gegen jedes Riff, jeden Chorus anzuarbeiten scheint und gerade dadurch alles so virtuos miteinander verlötet. Dazu diese Stimme, so druckvoll, so guttural, als nutze sie den ganzen Leib als Resonanzraum. Unterlegt von Bassläufen, die zwar unsichtbar erscheinen, aber unentrinnbar präsent.

Wenn all dies plötzlich zurück ins Gehirn dringt, wenn ein Klangteppich aus Wucht und Präzision an etwas längst Verschüttetes, lärmend Nachdrückliches gemahnt, wenn das allerdings keine verstaubte LP aus der hintersten Regalecke ist, sondern neu – dann haben Soundgarden wieder ein Album aufgenommen. Und was für eines.

Vom ersten Moment an räumt es sich beinahe wie auf den brillanten Grammy-Siegern Badmotorfinger und Superunknown den Weg übers Ohr bisweilen brachial in die Magengrube frei und fräst sich von dort weiter hoch ins musikalische Erinnerungsvermögen.

Beim emblematisch auf Heimkehr verweisenden Auftaktstück Been Away Too Long muss man sich zwar aufs Neue an Chris Cornells metallischen Gesang aus jener Epoche gewöhnen, die den Grunge frühzeitig zurück zum Hardrock-Start geführt hatte. Doch schon beim nachfolgenden Non State Actor drückt Kim Thayil seine Gitarre so grob und gleichsam filigran unter Matt Camerons Drums, die das alte Wechselspiel aus Mit- und Gegeneinander spätestens im jazzig verspielten Bones of Birds zu alter Stärke bringen, als hätte es die Bandauflösung nie gegeben.

Alles ist also fast wie immer und nichts daran ist auch nur annähernd so ärgerlich, wie man es bei manch anderem Comeback empfindet. Zum Ende hin mag King Animal etwas abbauen, als hätten sich die Endvierziger ein wenig quälen müssen, um volle Albumstärke zu erreichen. Doch – abgesehen vom Ursprung-Bassisten Yamamoto – annähernd in Originalbesetzung, gab es wohl selten zuvor eine Wiedervereinigung, die nach ewig zurückliegenden Erfolgen mit 21 Millionen Tonträgern so wenig nach Geldnot und Entzugserscheinung klang.

Produziert vom genreprägenden Weggefährten Adam Kasper (Nirvana, Pearl Jam, Foo Fighters), klingt King Animal stattdessen erfrischend nach einem Neuanfang ohne Selbstkorrekturen, ohne Modernisierungsdruck und falsche Profilneurosen. Wer das damals schon mochte, wird es heute lieben. Wer nicht, der nicht.

„King Animal“ von Soundgarden ist erschienen bei Mercury.