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Echo der Unerhörten, Teil I

 

Zugegeben, wir haben was vergessen. Es gab ein paar tolle Alben, die wir 2012 nicht vorgestellt haben. Das holen wir jetzt nach. Hier kommen The Invisible, Miaoux Miaoux und Cheek Mountain Chief!

Rund 150 Alben haben wir im vergangenen Jahr in diesem Blog besprochen. Unzählige leider nicht. Im Rückblick erscheint manch ein Werk größer, als man es vor sich gesehen hat. Deshalb wollen wir noch ein paar Platten vorstellen, die an uns vorübergingen: die Verpassungen 2012. Und warum auch nicht! Gute Musik wird nicht schlecht. Musik ist ja kein Obst.

Den ersten Teil der Verpassungen bestreitet Jan Freitag, am Montag folgt ihm Matthias Schönebäumer.

The Invisible: Rispah (Ninja Tune)

Ethno – was für ein korrektes Surrogat für exotische Klänge; hymnisch – welch ein scheußlicher Begriff, um Pointiertheit, Pathos, Fläche unters Publikum zu bringen. Ein Konstrukt wie „Ethnohymne“ erscheint im Duktus des Pop also ähnlich eklig wie, sagen wir: Humankapitalleitkultur. Und doch trifft das Hymnisch-Flächige wie das Ethnische gut auf eine Band namens The Invisible zu. Ihr Album Rispah jedenfalls ist voll afrikanischer Versatzstücke, die unter eine aufwändige Elektrowavegrundlage gerührt werden. Nur, dass die elf Stücke nicht aufdringlich klingen, sondern sehr subtil. Das liegt an Dave Okumus wisperndem Gesang, es liegt aber auch an der Genese. Denn just, als er im Studio war, starb seine Mutter in Kenia. Die Töne der dortigen Trauerzeremonie ließ er fortan mit einfließen. Ethnohymnik als Verarbeitungsprozess. Das klingt doch gleich ganz anders. Es klingt vor allem schön.

Miaoux Miaoux: Light of the North (Chemical Underground)

Es gibt Einflüsse, die nennen Musiker gern. Für New Order und Daft Punk schämt sich nun mal keiner, der elektrophilen Pop analog aufmotzt. Dass Julian Corrie alias Miaoux Miaoux einen anderen Antrieb verschweigt, ist da nur verständlich: Eurodance, die übelste Soundmetastase, seit unsere Spezies mit mehr als Stock und Stein musiziert. Umso erstaunlicher, dass sein Lights of the North, der neue Wurf des multiinstrumentalen DJ aus Schottland, trotz Abstecher in diese Richtung (meist) überraschend spannend klingt. It’s A Dream zum Beispiel, effektverquirlter R’n’B-Quark, sagt das Großhirn, lässige Zitatsammlung im Gegenwartslook, entgegnet der Bauch. Und dann das Video zu Hey Sound! oder das Neunziger-Orgelgewitter Virtual Fighter: schaurig und famos zugleich, herausfordernd eben. Manchmal will das diskursiv überforderte Popohr einfach unterhalten werden.

Cheek Mountain Thief: Cheek Mountain Thief (Full Time Hobby)

Wenn einer von der britischen Band Tunng allein seines Wegs geht, kann man ebenso Brilliantes erwarten wie von dem wunderbaren Indiefolk-Ensemble. Als sei Tunng eine Schule des Wunderbaren, ein Nukleus traumwandlerischer Töne. Schon der Frontmann Sam Genders hat mit Diagrams ein episches Projekt voller Zauberperlen geschaffen, sein Kollege Ashley Bates gilt als Topproduzent diverser Stile, vorigen Sommer nun ist auch Mike Lindsey aus dem Schatten seiner Hauptformation getreten. Cheek Mountain Thief heißt sein isländischer Nebenspielplatz. Seine Musik versetzt die Vulkaninsel aus der Nordpolnähe irgendwohin zwischen Mexiko, Tennessee und London. Sein bandbetiteltes Debütalbum mäandert zwischen Mariachi, Country, Britpop und bedient sich dabei Westerngitarren ebenso wie Muscheln, Chorälen, langen Pausen oder einer 15-jährigen Akkordeonspielerin. Zum Heulen schön.