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Ein Kauz verdient den Grammy

 

Mark Oliver Everett musiziert seit 20 Jahren konsequent vorbei am Mainstream-Erfolg. Auch das neue Album seiner Eels wird ein wundervoller, glorreicher Flop.

© Cooperative
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Splitternackt werde er neben seinem Grammy Award schlafen, verkündet Mark Oliver Everett in einer aufgezeichneten Dankesrede, die er per Video vom Nordpol schickt. Der Kopf hinter der Band Eels, besser bekannt als E, kann kaum glauben, dass er nach gut 20 Jahren im Geschäft gleich acht der Trophäen erhalten soll: unter anderem für die beste internationale Folk-Metal-Ballade, den besten Rückwärtssalto auf einer Bühne und die meisten aufeinanderfolgenden kommerziellen Flops. Ein Scherz? Am 10. Februar, dem Abend der Verleihung, wissen wir zumindest darüber mehr.

Wäre das Musikgeschäft eine Folge der Simpsons, dann wäre E wohl Hausmeister Willie. Grummelig beobachtet der Kauz den Trubel aus der Distanz und geht unbeirrt seiner Arbeit nach, die darin besteht, ein geniales Album nach dem anderen herauszubringen. Oder er dreht eine preisgekrönte BBC-Doku über seinen Vater, den Begründer der Viele-Welten-Interpretation. Und als er vor fünf Jahren seine Autobiografie schreibt, kommt dabei große, weise Literatur heraus, die den Leser zum Lachen bringt und zu Tränen rührt.

Diese Spannbreite trifft auch auf die meisten seiner Platten zu, auf denen Selbstironie und Intimität stets nah beieinanderliegen. Album Nummer zehn ist keine Ausnahme und wirkt doch gelöst. E und seine Bandkollegen The Chet, Koool G Murder, P-Boo und Knuckles haben sich laut eigener Aussage völlig planlos im selbst gebauten Studio eingefunden und einfach losgelegt. E flüstert und jault, die Gitarrensaiten surren wie Hochspannungsleitungen und manchmal klingt es wie Tom Waits zu seinen besten Zeiten.

Fans der Eels müssen sich nicht zwischen dreckigem Lo-Fi-Rock und großem Gefühl entscheiden, die Herren aus L.A.s ultrahippem Viertel Silver Lake bedienen seit jeher beides. Im hinreißenden Accident Prone fügen sich Samtgitarren und zweistimmiger Gesang zu einem Song, den man ganz behutsam anhören möchte, so zerbrechlich wirkt er. Niemals aufgeben, nur nach vorne schauen: Dieses Motto zieht sich durch das ganze Album. „I’m hurting bad / And fighting mad„, singt E, „I’m not knocked out but I’m on the ropes„. Hinein mit dem Mundschutz und auf in die nächste Runde. Auch wenn E demnächst fünfzig wird: Einer muss es ja machen, nun, da sogar Rocky Balboa über Musicalbühnen tänzelt.

Zugegeben, so manchen Song glaubt man schon mal von der Band gehört zu haben – einer erinnert sehr an Little Bird – und ein echter Hit ist wohl wieder nicht dabei. Aber wer braucht den schon? Die Formel funktioniert: ruhige Nummern, in denen Everetts kehliger Gesang mit glockenklaren Gitarren kontrastiert. Dazwischen Rockabilly, Bluesrock und im wunderbar schleppenden, nach hinten ausfransenden The Turnaround taucht sogar eine Pedal-Steel-Gitarre auf.

Schlittengeläut trifft auf Drumcomputer, ein himmlischer Chor auf quietschende Keyboards. Funksignale flirren einem durch die Synapsen und benommen torkelt man durch einen Wald aus dröhnenden Gitarren. Bis man unvermittelt auf einer sonnendurchfluteten Lichtung steht und sich so klar im Kopf fühlt, als rausche einem Menthol durch die Adern. Vielleicht war das mit der besten internationalen Folk-Metal-Ballade doch kein Scherz.

„Wonderful, Glorious“ von Eels ist erschienen bei Cooperative Music/Universal.