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Jukebox im Fegefeuer

 

Obacht, wenn der Tyrann mit der Snilepisk knallt! Die norwegische Truppe Kvelertak lässt den Black Metal auflodern, wie es lange nicht mehr zu erleben war.

© Stian Andersen
© Stian Andersen

Das Cover hat in der Redaktion einige Verwirrung ausgelöst. Die kunstbeflissenen Kollegen waren sich uneins, ob die nackte Frau inmitten von Tauben und Narzissen eher an die floralen Krisen von Alfred Mucha erinnert oder doch an präraffaelitische Gestalten. Was vorab schon ziemlich viele Worte sind für eine Platte, auf der Ääärgh oder Eeeeeärrrk oft ausreichen, um alles zu sagen.

Aus Gründen der Fairness sei erwähnt, dass die Band Kvelertak womöglich gar nicht Ääärgh meint, sondern etwas ganz anderes. Aber a) muss man ja nicht jede musikalische Äußerung mit Tiefsinn unterkellern und b) singt die Band auf Norwegisch. Oder faucht und gurgelt mit rostigen Vokalen, je nachdem. Und c) ist es im Heavy Metal oft sowieso besser, man versteht so wenig wie möglich vom Gesungenen. Es genügt ja, wenn der Sänger den Eindruck erweckt, als sollte man ihn im Park besser anleinen.

Immerhin war die Gruppe so freundlich, dem Hörer zumindest im Groben entgegenzukommen: Jedem der elf Songs ihres Albums Meir hat die Band einige knappe Erklärzeilen vorangestellt. Snilepisk zum Beispiel meint die Peitsche des dunklen Tyrannen, geschaffen aus Fleisch und Haaren, da fragen wir besser nicht weiter nach.

Bei Trepan haben wir es mit einer chirurgischen, exorzistisch gedachten Schädelbohrung zu tun. In diesem Lied empfängt einen auch sogleich ein atemberaubendes Schmirgelgebrumm, Gitarre, Bass und Schlagzeug in Tateinheit. So gut, so perfekt durchgearbeitet war das lange nicht mehr zu hören.

Kvelertak kommen aus Stavanger. Ihr Name bedeutet übrigens Würgegriff, was durchaus leitmotivisch für ihre Musik zu verstehen ist. Das vorliegende Album ist ihr zweites. Bereits das erste entzückte selbst konservative Veteranen mit seiner ausgetüftelten Raserei: die flirrenden Terzgitarren der alten Iron Maiden, die Gnadenlosigkeit des Black Metal und sehr viel bierbetriebener Lederundnietenrock.

Als die Band jüngst Deutschland bereiste, mussten die Konzerte in größere Hallen verlegt werden. Selbst der norwegische Konzern Statoil, Spezialist für schweres Bohrgerät, war vom Können der Band so begeistert, dass er Kvelertak mit knapp 100.000 Euro unterstützte.

Und es ist erstaunlich, wie mühelos die Gruppe zwischen den Subgenres wechselt, ohne dabei selbstgefällig im Alten zu schwelgen oder ihre Referenzen karnevalesk zu umspielen. Da wandeln sich komplex aufgeschichtete, brutal verzerrte Gitarrenläufe plötzlich zu Punk. Dunkles, alle Sinne vernebelndes Bollern löst sich in schnauzbärtigem Rock’n’Roll auf und man weiß nicht mehr, wie die Band dahin gekommen ist. Bis wenige Takte später hinter loderndem Gefauche und Gesäge das verschwindet, was einst mal Melodie genannt wurde. Auch wenn das zu Beginn bisweilen gewöhnungsbedürftig ist: Man muss diese Register erst einmal so beherrschen wie diese fünf Musiker.

Die infernalische Energie und die Intensität, mit der hier Welten abgefackelt werden, entfachen einfach eine große Freude. Kein intellektueller, kein durch Post-Theorie und Popsuhaeli herbeigeredeter Genuss, sondern ein wildes Vergnügen. Meir hört sich in seinen besten Momenten an, als habe man eine Jukebox im Fegefeuer aufgestellt und daneben hätten sich Motörhead mit Talent und Benzin übergossen und auf den Grill gelegt. Fern knallt die Knute des dunklen Tyrannen übers Land. Der weiteren Fantasie sind da keine Grenzen undsoweiter.

„Meir“ von Kvelertak ist erschienen bei Roadrunner Records/Warner.