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Der murmelnde Widerborst ist zurück

 

Ein Glück, dass ihn sein Trübsinn noch nicht das Leben gekostet hat. So kann der launische Trip-Hop-Vater Tricky endlich ein neues Album vorlegen, auf dem er mit der Welt abrechnet.

© Aldo Belmonte
© Aldo Belmonte

Bevor False Idols, das neue Album von Tricky, überhaupt erschienen war, fühlte sich der Künstler schon genötigt zu einer unmissverständlichen Ansage. „Es ist mir egal, ob die Leute es mögen werden“, ließ Tricky wissen. Und die Welt wusste: Der alte, der widerspenstige, der eigensinnige und einzigartige Tricky ist wieder da.

Tatsächlich erinnert dieses zehnte Album mit seinen sich dahinschleppenden Beats und der verzweifelten, düsteren Stimmung sehr an Maxinquaye, sein über die Maßen erfolgreiches Debüt. Das war vor 18 Jahren erschienen, wurde ein Welterfolg und beförderte Adrian Nicholas Matthews Thaws, einen aus ärmlichen Verhältnissen in Bristol stammenden Jungen, der auch schon ein Gefängnis von innen gesehen hatte, über Nacht zum Superstar. Tricky landete in den Charts, dank einer Liaison mit Björk in den Meldungsspalten der Regenbogenpresse und auf den Titelseiten von Magazinen – manchmal, wie 1996 auf dem Cover des Time Out, sogar in Jesus-Pose.

Aber Tricky kam mit dem Erfolg nicht klar. Er nahm zu viele Drogen, verschreckte zu viele Journalisten und nahm nahezu ausschließlich erratische Musik auf, die sein Publikum, die Verkaufserwartungen seiner Plattenfirmen und nicht zuletzt ihn selbst enttäuschte. Auch heute noch gelingen ihm in einem einzigen Interview Rundumschläge, in denen nicht nur der alte Kumpel 3D von Massive Attack, auf deren bahnbrechendem Album Blue Lines er seinen ersten Auftritt hatte, sein Fett abbekommt, sondern auch gleich noch Kanye West, Lenny Kravitz, Prince, die Queen, Margaret Thatcher und Winston Churchill, „der beschissene Pädophile“.

Dabei hält er auch vor sich selbst nicht zurück, ansonsten aber ist Tricky zahm und nachgerade altersweise geworden. Der 45-Jährige trägt das Gesicht eines 65-Jährigen mit sich herum, bedauert es, sich nicht ausreichend um seine nun erwachsene Tochter gekümmert zu haben, und lebt nach Stationen in London und New York mittlerweile in Paris. Das dortige „schreckliche Nachtleben“ halte ihn davon ab, weitere Dummheiten zu begehen.

Ausgerechnet die Stadt der Liebe hat Tricky geholfen, zu sich selbst zu finden. Musikalisch bedeutet das: intensiv pulsierende Rhythmen, verlorene Bläsersignale, wütend dazwischen fahrende Gitarren und abgrundtief schwarzer Humor. Wenn man False Idols hört und die Nähe zum wegweisenden Maxinquaye feststellt, ist kaum mehr zu glauben, dass diese Klänge damals als „Coffee-Table-Musik“ missverstanden werden konnten.

Vier, fünf Mal hat sich das Popgeschäft im Kreis gedreht, seit Tricky seine achteinhalb Minuten im Scheinwerferlicht nicht genießen konnte. Folgerichtig zielen seine Texte diesmal auf das alles beherrschende VIP-Unwesen, das seiner Meinung nach für die titelgebenden falschen Idole verantwortlich ist.

Diese Texte werden nicht nur von Tricky selbst im gewohnt eindringlichen Murmelgesang vorgetragen, sondern – wie man es von nahezu allen seinen Veröffentlichungen kennt – von einer nicht allzu langen, aber durchaus semiprominenten Liste an Gastsängern. Auf der stehen neben Peter Silberman von The Antlers vor allem Frauen: Francesca Belmonte und Fifi Rong aus London, dazu die Deutsch-Nigerianerin Nneka, die sonst formidablen Soul singt. Aber man sollte den Einfluss dieser Zuarbeiter nicht überschätzen, im Studio ist Tricky der Chef. Die verschiedenen Vokalisten benutzt er wie eins seiner elektronischen Instrumente, um die dunklen Fantasien aus seinem Kopf in bitterböse Klangvisionen umzusetzen.

Wie selbstbestimmt diese Vision ist, zeigt schon der Eröffnungstrack des Albums. Ein Puff, noch ein Paff, dazwischen reichlich Abstand, im Hintergrund ächzt irgendetwas, Francesca Belmonte singt, Tricky grummelt und Van Morrisons Somebody’s Sins bekommt endlich den Rahmen, den der Text schon immer verdient hatte: „Jesus died for someone’s sins but not mine.“ Wahrscheinlich ist es ein großes Glück, dass Tricky überhaupt noch am Leben ist. Sein Glück, aber auch unseres.

„False Idols“ von Tricky ist erschienen bei !K7 Records/Alive.