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Münchhausen orgelt durch die Popgeschichte

 

Graham Mushnik ist ein Meister im Kunstlöten. Er verschmilzt Samba, Afrobeat, Krautrock, Funk und Western mit Spezialkleister zu einem großartigen Album.

© Catapulte Records
© Catapulte Records

Catapulte Records heißt die kleine Firma, die die Platten von Graham Mushnik verlegt. Und ihr Name passt wie der Hintern auf den Kanonenball: Der Kerl saust münchhausengleich auf einer funkelnden Diskokugel durch Raum und Zeit, durch Epochen, Genres und Stimmungen.

Quellensicher verstrickt er auf seinem zweiten Album On The Phone With Graham Mushnik, was ihm unterkommt und schleudert uns seine Lieblingszitate vor die Füße. Die Stücke sind instrumental – Stimmen allenfalls gesampelt zu vernehmen – und allesamt verpackt in breites Georgel und dickes Wummern. Herrlich! Irrsinnig!

Fiese Frage: „Washörstenduso?“
Graham Mushnik (wahrscheinlich): „Ach, so alles, Hauptsache schön alt!“

Troff sein erstes Album A Distant Wildlife vor sechs Jahren noch vor heißundfettigem Soul und Funk, so holt er nun noch viel weiter aus; von britischen Krimiserien der Sechziger und Spaghettiwestern über jamaikanische Strandbäder, Samba, beastige Brooklyn- und Afro-Beats, bis hin zu Gameboy-Gedaddel, Düsseldorfer Krautsalat und klassischem Anbaggerfunk, es ist alles da, wirklich alles. Aber was ist auch von einem Album zu erwarten, deren Lieder Twist, Blues, Walzer, Rock und Mambo, Holzwurm, Party, Apokalypse und Trunkenheit im Titel tragen?

Der Plattenhülle ist zu entnehmen, dass die Stücke über einen Zeitraum von vielen Jahren entstanden sind. Tatsächlich jedes ist einem anderen Genre, einer anderen Musikgeschichte zuzuordnen. Und doch zerbricht dieses überkandidelte Sammelsurium nicht, Mushniks Gespür für Stimmungen und Melodien und seine wahnwitzige Liebe zum warmklingenden Detail halten On The Phone With zusammen, als hätte er eine gehörige Portion Konrads Spezialkleister beigemischt.

So vielseitig seine Musik, so wirr ist seine Lebensgeschichte: Mushnik wurde in den Dreißigern in Russland geboren, seine Eltern gaben ihn bald in die Obhut seines Onkels, eines jüdischen Floristen, in Kalifornien. Er landete beim Film, verletzte sich am Set und wurde blutüberströmt als Kommunist eingebuchtet. Und so weiter und so fort, nachzulesen ist die ganze Geschichte auf der Website seines Labels. Alles erstunken und erlogen.

Doch so viel scheint sicher zu sein: Graham Mushnik heißt in Wirklichkeit Axel Oliveres, ist Franzose und lebt in London – und auf Fotos sieht er nicht aus, als hätte er die 80 schon hinter sich. Völlig egal natürlich, denn dieser Typ könnte zu jeder Zeit an jedem Ort der Welt leben.

„On The Phone With Graham Mushnik“ ist erschienen bei Catapulte Records.