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Tränen in den Genen

 

Die große Songwriterin Kate McGarrigle starb 2010 an Krebs. Ihre Kinder Martha und Rufus Wainwright und Freunde wie Norah Jones oder Emmylou Harris widmen ihr nun ein rührendes Album.

© Benno Friedman/Nonesuch
© Benno Friedman/Nonesuch

We are family“ könnten sie singen auf diesem Tribute-Album für Kate McGarrigle. Zu Ehren der kanadischen Singer-Songwriterin haben sich unter anderem versammelt: Anna McGarrigle, ihre Schwester und langjährige Duo-Partnerin; Rufus Wainwright, ihr Sohn; Martha Wainwright, ihre Tochter. Nicht dabei ist Kollege Loudon Snowden Wainwright III, mit dem Kate lange genug verheiratet war, um Rufus und Martha zu zeugen. Aber dessen Schwester Sloan Wainwright. Und Tante Teddy Wainwright hat den Film zum Album koproduziert.

Ein musikalisches Familientreffen zu Ehren einer im Januar 2010 viel zu früh verstorbenen Musikerin. Muss man sich das anhören? Ja! Wem der Heldentenor von Rufus auf den Geist geht, für den sind ja auch noch Emmylou Harris, Norah Jones, Linda Thompson und Broken Social Scene dabei, um nur einige der nicht blutsverwandten Kollaborateure zu nennen. Und Antony, aber wer Rufus schon zu aufdringlich findet, wird mit dem erst recht nicht glücklich.

Die Aufnahmen des Doppelalbums stammen von drei Konzerten 2010 in London, 2011 in New York City und 2012 in Toronto, in abnehmendem Abstand zum Krebstod der Matriarchin. Der Rolling Stone schrieb über das Konzert in New York, „diese Stücke nach ihrem Tode zu hören war mehr als emotional. Sowohl die Künstler als auch das Publikum hatten Tränen in den Augen“.

Diese Intensität ist einer der Gründe, warum es sich lohnt, der Totenwache der Wainwrights, McGarrigles, ihrer Anverwandten und Freunde beizuwohnen. Der wichtigste aber ist, dass sich in ihren Interpretationen eine grandiose Songwriterin (wieder-) entdecken lässt, deren lyrische Dichte zu meist schlichten Akkorden durchaus mithalten kann mit der jener anderen großen kanadischen Songwriterin, Joni Mitchell.

Kate McGarrigle, Jahrgang 1946, und ihre Schwester Anna kommen aus der Folk-Szene Montréals der Sechziger – jener Welt, die auch Mitchell und ihren zeitweiligen Lover Leonard Cohen hervorbrachte. Kate ging 1969 nach New York, Anna blieb in Montréal. Trotzdem schrieben sie gemeinsam Songs für Künstlerinnen wie Maria Muldaur (deren Tochter Jenni beim Tribut gastiert) und Linda Ronstadt.

1976 erschien das erste von elf gemeinsamen Alben. Später kooperierte Kate McGarrigle mit Country- und Folk-Kolleginnen wie Emmylou Harris und Joan Baez. Sie litt seit Jahren an Krebs und gründete eine Stiftung zur Krebsbekämpfung, die die Erlöse aus den Onlineverkäufen des Tribute-Albums bekommen soll.

Kate McGarrigle und ihr Sohn Rufus Wainwright 2008 (© Getty Images)
Kate McGarrigle und ihr Sohn Rufus Wainwright 2008 (© Getty Images)

McGarrigle schrieb persönliche, intime Lieder, sie handeln von ihren Lebensstationen und auch ihren Kindern. Jetzt singt Martha zum Beispiel Kates Song Matapedia mit den Zeilen über Martha, die aussieht wie Kate. Und Chaim Tannenbaum, ein enger Freund der Familie, setzt den alten Running Gag bei Konzerten des Wainwright-Clans fort: Als Jude singt er einen Gospel über Jesus (in der Weihnachtszeit auch mal Blue Christmas, bei dem Nachnamen ein Doppelwitz).

Easy Listening ist dieses Album nicht. Dafür sind die Songs zu intensiv, die Stimmen zu stark, die Arrangements zu rau. Aber die Tintenschwärze durchwachter Nächte in den Textzeilen, der harsche Wind Québecs in den Melodien und die Tränen in den Genen gehen unter jedes dicke Fell. Zum Schluss steht Kate McGarrigle in einer (eher gesprochenen als gesungenen) Demoaufnahme von den Toten auf. Es wär so schön.

„Various Artists: Sing Me The Songs: Celebrating the Works of Kate McGarrigle“ ist erschienen bei Nonesuch/Warner.