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Kopf- und Beinarbeit im Club

 

Transgenderthemen gehören schon lange zum Pop, nicht erst seit Frau Wurst. Mit dem neuen Album von Hercules & Love Affair lässt sich zur Selbstermächtigung reflektiert tanzen.

© Benjamin Alexander Huseby
© Benjamin Alexander Huseby

Als die bärtige Dragqueen Conchita Wurst vor gut zwei Wochen den Eurovision Song Contest gewann, waren alle aus dem Häuschen. Als wenn es das erste Mal gewesen wäre, dass Popmusik sich mit Geschlechterrollen und selbstbestimmten Dasein auseinandersetzt. Das ist natürlich Blödsinn. Spätestens seit den siebziger Jahren wird dieser Diskurs bereits auf dem Dancefloor geführt. In jüngerer Zeit fielen die Schlaglichter zum Beispiel auf das New Yorker Disco-House-Projekt Hercules & Love Affair.

Andy Butler, der Kopf hinter dieser Gruppe, setzte sich schon 2008 auf dem Debütalbum mit seiner Homosexualität auseinander. Die selbstreflexiven Texte ließ er von Transgender-Künstlern wie Antony Hegarty, Nomi Ruiz und Ann Kim Foxman singen. Gemeinsam entwarf das Quartett so einen Discosound, der nicht nur zum Tanzen, sondern auch zum Denken anregte und in dem zweiten Album Blue Songs einen würdigen Nachfolger fand.

Mit dem eben erschienenen dritten Album The Feast Of A Broken Heart feiert Andy Butler erstmals die House-Musik der späten achtziger Jahre. Stoische Basslinien, satte Claps und Zwei-Finger-Suchsystem-Hämmerei auf den weißen Tasten des Keyboards. Butler lässt nun auch nicht mehr seine eigenen Gedanken vertonen, sondern erteilt seinen Gästen das Wort.

The Feast Of A Broken Heart oszilliert zwischen Substanz und Amüsement, zwischen Sinnsuche, Sexualität und Kunst. Dieses Album lebt von den großen Gegensätzen: schillernde Musik hier, Reflexion über menschliche Degeneration dort. Etwa dann, wenn John Grant über die luftige Produktion von I Try To Talk To You schwebt und in trauriger Erhabenheit von seiner HIV-Infizierung singt. Wenig später in Liberty zelebriert er scheinbar eine neu erlangte Freiheit.

Oder dann, wenn sich in 5.43 to Freedom ein stoischer Loop aufmuskelt und Rouge Mary das Mantra „Be yourself!“ in „Freedom„-Rufen auflöst. Auch Krystle Warrens Selbstermächtigungslyrik in My Offence steht im krassen Gegensatz zu pumpenden Bässen, Trillerpfeifen und schiefen Streichern aus dem Synthesizer.

Trotz all des Empowerments lässt das Album dennoch etwas vermissen: Es fehlt das Raue und Unfertige, der schnodderige Sound einer Zeit, der Andy Butler und seine Co-Produzenten Mark Fistel und Ha-Ze Factory mit ihrem House-Revival Respekt erweisen wollen. Bestes Beispiel ist wohl die Single Do You Feel The Same? mit Gustaph, die nur haarscharf am Volle-Kanne-Pop vorbeischrammt.

Abgesehen vom bisweilen überglatten Klang, ist Feast Of The Broken Heart ein tolles Album. Es provoziert Kopf- und Beinarbeit gleichermaßen, und das hat man nicht oft.

„The Feast Of A Broken Heart“ von Hercules & Love Affair ist erschienen bei moshi moshi/PIAS.