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Trotz und Wasser

 

Wie geht’s dem deutschen Emopunk? Grand Griffon aus Hamburg könnten die einzigen sein, die ihn noch beherrschen. Wenn sie sich bloß nicht so im Selbstmitleid suhlten.

© Zeitstrafe
© Zeitstrafe

Es ist kein gutes Jahr für den Emopunk, aber das kommt ihm gerade recht. Wenn die alten Kumpels meinen, sich nun dem weisen Rock oder kühlen Postpunk widmen zu müssen, treten ihnen Grand Griffon gern beleidigt nach. Wollen wir doch mal sehen, wer zuletzt heult.

Wobei: Sie sind ja eigentlich schon die Letzten. Matula beispielsweise, die Hamburg-Gefährten, die früher mal ähnlich stürmisch und wild von ihren Gefühlen sangen, haben sich Anfang des Jahres endgültig in den Rock verabschiedet. Andere schwenken um in Richtung Postpunk, Posthardcore oder lassen es irgendwann ganz sein, so wie die kurzzeitig legendären Escapado, die ihren Sänger und ihren Bassisten an Grand Griffon verloren und danach nicht lange überlebten. Wenn Grand Griffon also eins können, dann übrigbleiben.

Schon ihr erstes Album Protektor handelte 2011 vor allem vom Verlassenwordensein. Noch ganz frisch verletzt klang es, wie Helge Jensen damals zwischen Wut und Verzweiflung, schonungsloser Ehrlichkeit und triefendem Selbstmitleid schwankte, während ihm stürmischer Gitarrenpunk den Boden unter den Füßen wegblies. Ein wenig rumpelig zwar, aber immer wieder überraschend zart und melodiös, um dann umso schonungsloser in den Hardcore zu stürzen. So schön wie Jensen suhlte sich niemand in klarem Gesang, so mühelos wechselte aber auch keiner ins Geschrei. „Ohne dich wär ich nie so weit gekommen/ Ohne dich wär es nie so weit gekommen.“ So fühlt es sich an, wenn man seinen Platz in der Welt plötzlich neu finden muss. Frustrierend und schön, aufregend, beängstigend und alles gleichzeitig.

Mattachine ist drei Jahre später nun das Album, das immer noch nicht klarkommt. Weit von der Stelle bewegt haben sich Grand Griffon dafür nicht, ihr Punk steht immer noch ganz nah am Wasser. Ihr norddeutsches Zuhause steckt nicht nur in der typisch windbewegten Dringlichkeit, mit der sie ihre Songs vorantreiben, sondern auch in Jensens Metaphern: „Die Gezeiten haben sich umgekehrt/ Du liegst am Meeresboden, doch das Wasser will dich nicht.“

Im besten Song Siste Iinjer ist der Captain-Planet-Sänger Jan Arne von Twistern zu Gast, der ähnlich nah am Ufer wohnt und Jensen wunderbar dazwischenruft. Das Stück Punkroutine stolpert so fantastisch hastig über sich selbst, als gäbe es da am Hafen tatsächlich noch jemanden in Sichtweite einzuholen.

Leider spielen Teile von Mattachine aber auch da, wo sich längst niemand mehr hat blicken lassen. Aus den Wunden von einst sind hässliche Narben geworden, aus dem frischen Schmerz die Bitterkeit von einem, der nicht akzeptieren will, dass es weitergehen muss. Der Emopunk schwankt nicht mehr, er steht gefährlich selbstbewusst im Raum und zeigt auf alle anderen. Die zerbrechlichen Melodien mussten breitbeinigen Arrangements weichen, in denen es knarzt und rifft und Plattitüten ruft, weil es eben kann: „Bitte weitergehen/ Es gibt hier nichts zu sehen.“

Wo Protektor noch nach Wahrheiten und Hoffnung suchte, pöbelt Mattachine lieber die Umstehenden an. Schön anzusehen ist das nicht, auch wenn das zweite Album abwechslungsreich geschrieben und besser produziert ist als das erste. Nur nimmt das Mitgefühl irgendwann ab, wenn da jemand ewig den Unverstandenen spielt, die Laken nicht mehr wechselt und sich im Pessimismus einrichtet: „Nie war Nähe mir so fremd.“

Solange Grand Griffon es schaffen, die Schotten noch einen Spalt offen zu halten und sich zwischen Wut und Frust auch weichere Gefühle erlauben, gehört der emotionale Punk ihnen ganz allein. Wenn sie sich allerdings ganz im Selbstmitleid verkriechen, könnte es einsam werden.

„Mattachine“ von Grand Griffon ist erschienen bei Zeitstrafe.