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Frag Mama um Rat

Anthony Hamilton liefert ein Gegenprogramm zu Hip-Hop-Hedonismus und Stretchlimo-Gangstern. An seiner Schulter kann der Zuhörer ausatmen.

Mit dem frisch gewählten US-Präsidenten Barack Obama scheint auch im afroamerikanischen Pop ein neues Männlichkeitsideal Auftrieb zu erhalten. Die alten muskelbepackten Gangster-Poseure wirken plötzlich wie Fossile, während Versöhnungsprediger den Typ der Stunde verkörpern.

Anthony Hamilton kann davon nur profitieren. Wie lautet noch mal das Attribut, das dem Soulsänger aus North Carolina am häufigsten angehängt wird? Erwachsen! Mag der Mann auch von Rapstars regelmäßig für ein paar steinerweichende Refrains ins Studio gebeten werden – in seinen eigenen Songs verkörpert er doch eher die Antithese zum jugendlichen Hip-Hop-Hedonismus.

»Sollte es nicht fürs Kino reichen / können wir auch einfach daheimbleiben…«, gospelt er im erdigen Bariton auf seinem neuen Album The Point Of It All. Das Video zu seiner ersten Single-Auskopplung Cool liefert ein entsprechendes Szenario: Der Sänger fährt eine Schrottschüssel, muss unter einem lecken Hausdach leben, kann seine Rechnungen nicht begleichen und zelebriert trotzdem die Liebe zu seinem Mädchen. Ein Klischee – das aber gerade durch den Kontrast zur Stretchlimousinen-Ikonographie des zeitgenössischen Rhythm ’n’ Blues seinen Witz gewinnt. An anderer Stelle fragt Hamilton seine Mutter um Beziehungsrat, oder er verkündet in Prayin’ For You, dass er für seine Geliebte »beten würde«.

Man kennt solche Zeilen noch am ehesten aus dem Soul der sechziger und siebziger Jahre, von den mitfühlenden Hymnen eines Curtis Mayfield, Bobby Womack oder Bill Withers. Anthony Hamilton modernisiert deren Botschaft: Seine Songs verbinden akustische Gitarren mit programmierten Beats und bleiben dabei dennoch stets der bluesgetränkten Wärme des Southern Soul verpflichtet.

Vor allem aber: Hamilton erzählt glaubwürdige Geschichten. Selbst wenn der Sänger in The News über Funkgitarren den Nachruf auf einen ermordeten Crackschieber falsettiert, bleibt es persönlich: floh doch der kleine Drogendealer Hamilton einst aus Charlotte, North Carolina, nach New York, um einem ähnlichen Schicksal zu entkommen. Dort schlief er in U-Bahn-Waggons, hielt sich als Friseur über Wasser und heuerte als Backgroundsänger für Größen wie Tupac Shakur oder D’Angelo an.

Auf seine Chance als Solist musste Hamilton jahrelang warten. Die Plattenfirmen ließen zwei fertige Alben einfach liegen, befanden den Mann als »zu unkommerziell« für ein Massenpublikum. Bis er 2003 mit dem trotzigen Debüt Comin’ From Where I’m From einen veritablen Hit landete.

Seitdem lieh Hamilton dem Soundtrack von American Gangster seine Stimme, sang als Duettpartner von Al Green und unterstreicht auch mit seinem dritten Album, dass Soul weder Eskapismus noch Macho-Werte zu befördern braucht: Ihn habe am Soul immer die Verletztheit und Verletzlichkeit seiner Protagonisten angezogen. »Hinter den rüden Anmachphrasen verstecken sich doch gewöhnlich allzu unsichere Menschen, die versuchen, ihr Herz zu schützen. Ich dagegen biete meinen Zuhörern meine Schulter an: damit sie mal wieder ausatmen können…«

„The Point Of It All“ von Anthony Hamilton ist erschienen bei Zomba/Sony BMG.

Dieser Text ist entnommen aus DIE ZEIT Nr. 3 vom 8. Januar 2009.

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