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Wer singt schon über Rügen

Kettcar aus Hamburg haben den Klangteppich glattgebürstet. Ihrem neuen Album „Sylt“ fehlen die Leuchttürme.

Kettcar Sylt

Der Deutschen Lieblingsinsel? Rügen. Aber wer besingt schon Rügen. Der deutschen Musiker Lieblingsinsel ist Sylt. Gleich hinterm Hindenburgdamm fanden Reinhard Mey und Die Ärzte ihr Glück – oder zumindest manchen Erfolg. Nun also nennen Kettcar ihr neues Album nach der größten hiesigen Nordseeinsel.

Stellen wir uns vor, wir seien nie auf Sylt gewesen. Wir wüssten nur, was über die Schickeria und das Strandleben in den bunten Blättern steht. Theodor Storm? Nie gehört. Wie würden wir uns wohl eine Platte vorstellen, die den Namen des einzigen gemeinsamen Vororts von Berlin und Hamburg trägt? „Das alles ist so was von langweilig“, befindet der Sänger Marcus Wiebusch. Meint er Sylt? Oder Sylt?

Kettcar sind ein Phänomen. Zusammen mit den Hamburger Kollegen von Tomte bissen sie sich durch schlechte Zeiten ohne Plattenvertrag, Konzert um Konzert. Auf der klassischen Ochsentour erspielten sie sich Anhänger. Deren Schar war bald so groß, dass Talentsucher und Kritiker ihre Ohren nicht länger verschließen konnten.

Im Jahr 2002 erschien Kettcars erstes Album Du und wieviel von deinen Freunden, elf rockige Lieder mit rotzigen deutschen Texten. Nicht Punk, nicht Pop, irgendwas dazwischen. Auch Kettcar durften ein bisschen mitschwimmen auf der Erfolgswelle deutschsprachiger Poprockmusik. Im Jahr 2005 folgte das zweite Album, Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen. Das Freche wich dem Schmalzigen. Mit Sylt nun weicht auch der letzte Rest Originalität dem Einheitsbrei. Wie gehabt streuen sie kleine Sprachspielereien und englische Halbsätze in ihre bodenständige Musik. Und gleich hinter der Textdünung rauscht der mal laut geschrabbelte, mal leise gezupfte Gitarrenklangteppich. Die meisten Lieder klingen, als würden Kettcar sich selbst covern.

Auf Sylt gibt es Leuchttürme. Auf Sylt leider nicht. Kettcar haben den Klangteppich glattgebürstet, eine träge Masse quillt aus den Lautsprechern. So klingt fürs Formatradio produzierter Deutschrock. Die Texte sind nicht schlecht, aber bemüht. Sie berühren den Hörer ebenso wenig wie die Musik.

Anhänger der Band werden das alles wohl schätzen und ihren nächsten Urlaub auf Sylt verbringen. Der Kritiker aber langweilt sich und fährt lieber nach – Rügen.

„Sylt“ von Kettcar ist auf CD und LP erschienen bei Grand Hotel van Cleef/Indigo.

Weitere Beiträge aus der Kategorie ROCK
The Sonics: „Here Are The Sonics!!!“ (Etiquette Records 1965)
Mondo Fumatore: „The Hand“ (Rewika 2008)
dEUS: „In A Bar, Under The Sea“ (Island/Universal 1996)
Bauhaus: „Go Away White“ (Cooking Vinyl/Indigo 2008)
Nada Surf: „Lucky“ (City Slang 2008)

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Mit einem Brot am Zebrastreifen

Über die Jahre (16): Bis 1999 kannte beinahe niemand Funny van Dannen. Dann veröffentlichte er sein Album „Uruguay“ und begeisterte Kritik wie Publikum. Die CD ist der bisherige Höhepunkt im Schaffen des lakonischen Liedermachers mit seinen intellektuell angehauchten Witzen und Spitzen

Fanny van Dannen Uruguay

Kann ein Mann mit einer Gitarre der Welt noch etwas Neues geben? „Inzwischen bin ich Künstler und das ist wunderschön – dabei wollte ich ursprünglich nur nicht arbeiten gehen.“ Franz-Josef Hagmanns, so heißt Funny van Dannen bürgerlich, ist kein Popstar geworden, das war nie seine Welt. 1999 veröffentlichte er Uruguay – die letzte Platte, bevor sich das deutsche Feuilleton dazu berufen fühlte, seine Stücke wertzuschätzen.

Sein Lebenslauf ist nicht ungewöhnlich. Geboren wurde er nahe der Grenze zu den Niederlanden, Ende der Siebziger zog er nach Berlin. Er lebte als Künstler, malte, musizierte, schrieb und setzte vier Kinder in die Welt. Kann so jemand Liedermacher werden? Jemand, der eigentlich gar nichts zu erzählen hat und das auch noch zugibt?

Der Mann steht auf der Bühne, allein mit seiner Gitarre passender wäre vermutlich die Bezeichnung Klampfe. „Wenn ich hier stehe, und Sie so sehe, bin ich der glücklichste Mensch auf der Welt.“ Er spielt seine Lieder für und dann wieder mit dem Publikum. „Und wenn Sie mich fragen, warum ich das sage: Ich bin nicht mehr jung und ich brauche das Geld.“

Er ist ein Meister alltäglicher Melancholie, von Molltönen und feinen Wortspielen. Wie ein Bach plätschert seine Musik vor sich hin, der Geschichtenerzähler und seine Gitarre ergänzen sich perfekt. Wenn es ihm notwendig scheint, zückt er auch mal die Mundharmonika. Die Musik lädt zum Mitsummen ein, wer sich einlullen lässt, verpasst die Spitzen in seinen Texten.

„Wo kommen die Gedanken her,
was wollen sie von mir,
wenn sie morgen wiederkommen,
bin ich nicht mehr hier“

Seine Texte stecken voller deprimierender Erfahrungen. Die großen und kleinen Dramen menschlichen Zusammenlebens und Missverstehens besingt er. Funny van Dannen ist ein aufmerksamer Beobachter, der überspitzt formuliert und dem oft verschämt lachenden Publikum den Spiegel vorhält. Wer muss nicht schmunzeln, wenn eine misslungene Liebesgeschichte auf ihre alltägliche Substanz („Ich stand mit einem Brot am Zebrastreifen, sie war wirklich fort, ich stand mit einem Brot am Zebrastreifen, ich stand noch lange dort“) reduziert wird?

Uruguay war seine vierte CD. Warum sie so hieß? „Wahrscheinlich ist es nur das Wocht, dem ich verfallen bin.“ So viel sprachlicher Lokalkolorit durfte auch nach 20 Jahren Berlin noch sein. Nach dem Erscheinen von Uruguay wurde Funny van Dannen einem breiteren Publikum bekannt, die Kritik erklärte ihn zu Deutschlands oberstem Liedermacherantipopstar. Hört man die CD heute, hat man das Gefühl, dass sie der Höhepunkt des lakonischen Liedermachers mit seinem oft intellektuell angehauchten Witz war.

„Uruguay“ von Funny van Dannen ist als LP und CD erschienen bei Trikont

Hören Sie hier „Wo kommen die Gedanken her?“

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(15) The Cure: „The Head On The Door“ (1985)
(14) Can: „Tago Mago“ (1971)
(13) Nico: „Chelsea Girl“ (1968)
(12) Byrds: „Sweetheart Of The Rodeo“ (1968)
(11) Sender Freie Rakete: „Keine gute Frau“ (2005)
(10) Herbie Hancock: „Sextant“ (1973)
(9) Depeche Mode: „Violator“ (1990)
(8) Stevie Wonder: „Music Of My Mind“ (1972)
(7) Tim Hardin: „1“ (1966)
(6) Cpt. Kirk &.: „Reformhölle“ (1992)
(5) Chico Buarque: „Construção“ (1971)
(4) The Mothers of Invention: „Absolutely Free“ (1967)
(3) Soweto Kinch: „Conversations With The Unseen“ (2003)
(2) Syd Barrett: „The Madcap Laughs“ (1970)
(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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Einfach Ideal

Über die Jahre (11): Im August widmet sich der Tonträger Platten aus vergangenen Tagen. Heute: „Keine gute Frau“, das packende Debüt des Berliner Duos Sender Freie Rakete. Intelligente Texte, eine wahnsinnige Stimme und eingängige Melodien. Was kann man mehr erwarten?

Cover Sender Freie Rakete

Selten hat mich Musik so gepackt wie diese: Mitten im Berliner Spätfrühling erwischten mich Sender Freie Rakete, ein Duo aus der Spreestadt. So wie Musik heutzutage den Musikschreiber erwischt: ein Hinweis hier, ein Reinhören da. Täglich stochert man im digitalen Brei zwischen MySpace, PureVolume, Radioblogclub und BeSonic. Immer auf der Suche nach den Trüffeln, die einem die Werbe-Maschinerie der großen Plattenfirmen nicht präsentieren kann – weil sie die Künstler nicht unter Vertrag hat. Ich stolperte über das Lied Uncool, und war sofort gefangen. Keine Gute Frau musste her, ein Minialbum mit sechs Stücken, die damals noch einzige Veröffentlichung aus dem Jahr 2005.

Emma Berit Ott und Stefan Machalitzky sind die beiden Raketenmusiker. Sie singen auf Deutsch. Sie stellen viele Fragen – und geben gleich noch Antworten, ohne dabei in den Irrgarten der Banalitäten abzugleiten. „Ist es normal“, fragt die Sängerin, „dass ich alle Bands viel besser fand, als sie noch arm und unbekannter waren?“ Aufgrund des gewaltigen Drucks in ihrer Stimme wird sie oft mit Ideal-Sängerin Annette Humpe verglichen. Glatt und rau zugleich ist sie, rotzig frech und doch einfühlsam. Derweil flitzen Machalitzkys Finger gekonnt die Saiten hinauf und hinunter, spielen eingängige Linien, einfach, aber nie anspruchslos. Jedes Lied hinterlässt tiefe Spuren in meinen Gehörwindungen.

Vorbei sind offenbar die Zeiten, in denen der Wortschatz deutschsprachiger Rockbarden nicht größer sein durfte als der seiner Hörer. Die Texte von Emma Berit Ott sind gut und intelligent. Sie sind ironisch, die Doppeldeutigkeiten sind an Eindeutigkeit nicht zu überbieten. „Meine voll emanzipierte Mutter denkt, ich spinne – weil sie merkt, ich will anders als sie sein.“

Sie verstehen sich auch auf die ruhigen Stücke. Bestes Beispiel: Wir sind drüber. Leise, einfühlsam – und doch nicht einfach nur ein Liebeslied. Sondern ein Stück über das Ende einer Beziehung. Immer wieder thematisieren sie die spannungsgeladenen Nebenwirkungen des Alltags. Dabei klingen sie wie eine zeitgemäße, rockige und zugleich intelligente Ausgabe von Ideal.

Solche Werke sind selten. Und noch seltener knüpfen Künstler nahtlos an diese an. Das 2006 erschienene zweite Minialbum Nadine ist leider Opfer dieser Regel.

„Keine gute Frau“ von Sender Freie Rakete ist im Eigenverlag veröffentlicht worden, es ist über die Website der Band und bei Finetunes erhältlich

Hören Sie hier „Uncool“

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(10) Herbie Hancock: „Sextant“ (1973)
(9) Depeche Mode: „Violator“ (1990)
(8) Stevie Wonder: „Music Of My Mind“ (1972)
(7) Tim Hardin: „1“ (1966)
(6) Cpt. Kirk &.: „Reformhölle“ (1992)
(5) Chico Buarque: „Construção“ (1971)
(4) The Mothers of Invention: „Absolutely Free“ (1967)
(3) Soweto Kinch: „Conversations With The Unseen“ (2003)
(2) Syd Barrett: „The Madcap Laughs“ (1970)
(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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Alte Platten neu gehört

Es begann im August 2006: Einen Monat lang stellten Autoren von ZEIT ONLINE ausschließlich alte Platten vor, die nicht in Vergessenheit geraten sollten. Seitdem erinnert der Tonträger, unser Musikblog, in loser Folge an besondere Alben, die vor langer Zeit veröffentlicht wurden. Manche von ihnen sind so gut, dass sie dieser Tage neu aufgelegt werden.

Wir wollen uns fragen, welche Werke ein erneutes oder erstmaliges Hinhören lohnen. Es geht hier nicht um einen Kanon der besten oder wichtigsten Platten aller Zeiten. Wir wollen einfach nur die Ohren öffnen für Platten, die uns aus ganz verschiedenen Gründen am Herzen liegen. Das sind Alben, die uns lange begleitet haben, die sich immer mal wieder ins Gedächtnis rufen. Solche, zu denen wir uns zurückziehen, wenn die Flut der Neuveröffentlichungen zu tosend wird. Das sind auch Platten, die unser eigenes Werden geprägt haben. Und welche, über die wir erst spät gestolpert sind, die uns im Nachhinein empfohlen wurden, die uns staubig und zerkratzt auf einem Flohmarkt ins Auge fielen oder erst durch ein Sonderangebot im Plattenladen interessant erschienen.

Musikalische Schätze aus fünf Jahrzehnten – jeder ist es wert, wiederentdeckt zu werden. Nur eine Vorgabe haben alle Alben zu erfüllen: Sie müssen noch erhältlich sein, denn es könnte ja geschehen, dass der eine oder andere Leser zum Hörer werden will.

Alle bisherigen Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(63) Paul Simon: Graceland (Warner/Sony 1986/2012)
(62) Megadeth: Peace Sells…But Who’s Buying? (EMI 1986/2011)
(61) Johnnie Taylor: „Live At The Summit Club“ (Stax/Concord)
(60) Anvil: „Metal On Metal“ (Attic Records)
(59) The Feelies (Domino)
(58) Kraftwerk: „Der Katalog“ (EMI/Capitol)
(57) Stone Roses (Silvertone, 1989)
(56) Def Leppard: „Hysteria“ (Mercury/Universal 1987)
(55) Magma: “Mekanik Kommnadoh” (Harmonia Mundi 1969/2009)
(54) James Brown: “Love Power Peace” (Polygram 1971)
(53) The Monks: „Black Monk Time“ (1966)
(52) Queen: „Queen II“ (1974)
(51) Beastie Boys: „Paul’s Boutique“ (1989)
(50) Journey: „Escape“ (1981)
(49) Spherical Objects: „No Man’s Land” (1982)
(48) David Bowie: „Heroes“ (1977)
(47) Sabine Vogel: “Aus dem Fotoalbum eines Pinguins, Part 1 & 2″ (2006)
(46) Lol Coxhill: „Ear Of The Beholder“ (1971)
(45) Rolf Kühn: „More, More, More & More“ (2008)
(44) Tindersticks: „I“ (1993)
(43) The Sisters Of Mercy: „First And Last And Always“ (1985)
(42) Wareika Hill Sounds: „s/t“ (2007)
(41) Dennis Wilson: „Pacific Ocean Blue“ (1977)
(40) Klaus Nomi: »Nomi« (1981)
(39) GAS: »Nah und Fern« (2008)
(38) Liquid Liquid: »Slip In And Out Of Phenomenon« (2008)
(37) Nick Drake: »Fruit Tree« (1979)
(36) The Sonics: »Here Are The Sonics!!!« (1965)
(35) dEUS: »In A Bar, Under The Sea« (1996)
(34) Miles Davis: »On The Corner« (1972)
(33) Smog: »The Doctor Came At Dawn« (1996)
(32) Naked Lunch: »This Atom Heart Of Ours« (2007)
(31) Neil Young: »Dead Man« (1996)
(30) The Exploited: »Troops Of Tomorrow« (1982)
(29) Low: »Christmas« (1999)
(28) Nena: »Nena« (1983)
(27) Curtis Mayfield: »Back To The World« (1973)
(26) Codeine: »The White Birch« (1994)
(25) The Smiths: »The Queen Is Dead« (1986)
(24) Young Marble Giants: »Colossal Youth« (1980)
(23) Sister Sledge: »We Are Family« (1979)
(22) Rechenzentrum: »The John Peel Session« (2001)
(21) Sonic Youth: »Goo« (1990)
(20) Flanger: »Spirituals« (2005)
(19) DAF: »Alles ist gut« (1981)
(18) Gorilla Biscuits: »Start Today« (1989)
(17) ABC: »The Lexicon Of Love« (1982)
(16) Funny van Dannen: »Uruguay« (1999)
(15) The Cure: »The Head On The Door« (1985)
(14) Can: »Tago Mago« (1971)
(13) Nico: »Chelsea Girl« (1968)
(12) Byrds: »Sweetheart Of The Rodeo« (1968)
(11) Sender Freie Rakete: »Keine gute Frau« (2005)
(10) Herbie Hancock: »Sextant« (1973)
(9) Depeche Mode: »Violator«(1990)
(8) Stevie Wonder: »Music Of My Mind« (1972)
(7) Tim Hardin: »1« (1966)
(6) Cpt. Kirk &.: »Reformhölle« (1992)
(5) Chico Buarque: »Construção« (1971)
(4) The Mothers of Invention: »Absolutely Free« (1967)
(3) Soweto Kinch: »Conversations With The Unseen« (2003)
(2) Syd Barrett: »The Madcap Laughs« (1970)
(1) Fehlfarben: »Monarchie und Alltag« (1980)

Alle Musikangebote von ZEIT online finden Sie unter www.zeit.de/musik

 

Ganz nah am Strand

Beine ausstrecken und genießen! Cluesos Album „Weit weg“ taugt trotz ernster Untertöne als Begleitmusik für den Sommer 2006

Weit Weg

Clueso heißt eigentlich Thomas Hübner und kommt aus Erfurt, einer Stadt im Osten Deutschlands, in der viele Menschen an ihren Aussichten zweifeln. Sein Künstlername erinnert nicht zufällig an den stets hochmotivierten, jedoch nur selten erfolgreichen Inspektor Clouseau aus dem Rosaroten Panther. Mit seinen bisher zwei Alben und einem Auftritt bei Stefan Raabs Bundesvision Contest erregte er Interesse – zum großen Durchbruch kam es noch nicht.

Vielleicht auch deshalb blieb der Künstler auf dem Boden und widmete seinem neuen Album Weit weg große Aufmerksamkeit.Ich geb ständig mein Bestes“, singt er. Und wenn das nicht reicht, helfen Freunde wie Max Herre von Freundeskreis oder die New Telepathics, ein Soundtüftelprojekt des Serafin-Musikers Darryn Harkness.

Denn wenn man im Nachhinein erfährt, wie viel konstruiert ist, wird einem so kalt, dass man fast erfriert. Vielleicht sind wir alle schon komplett gestört, dass uns ringsrum so viel Schwachsinn völlig fasziniert.“

Gymnasiastenpop? Thüringer Hauptschule! Er kennt mehr vom Leben als manche durchproduzierte Nachwuchsband. Das zeigt sich in den Texten wie in den Stimmungen. In Chicago beispielsweise: äußerlich ein plätschernder Popsong, doch wehe, man achtet auf den Text. Es geht um das Ende einer Drogenkarriere – und Clueso ist hier ungleich ernster als noch in Vergessen ist so leicht vom Vorgängeralbum Gute Musik. Sein Nichteinverstandensein mit vielem ist das eine, welche Worte er dafür findet, das andere.

Sprechgesang, unterlegt mit eingängigen Beats, so definiert sich HipHop. Clueso macht demnach keinen. Zwar reimen sich die meisten seiner Liedzeilen, manches mal jedoch nur aufgrund von Dialektfärbungen. Wer einen deutschen Eminem erwartet, wird von der Musik wie vom Text enttäuscht.

Alle anderen dürfen sich freuen: Clueso rappt nicht – er ist ein einfallsreicher Liedermacher, offen nach vielen Seiten: hier ein bisschen Punk (in Hirn ein), dort ein wenig Reggae und dann, natürlich, die akustische Gitarre. Der zusammen mit Max Herre aufgenommene Song Da wohnt so ’n Typ schwankt zwischen rockigem Refrain und entspannten Strophen. Deutschpoppern wie Selig (bei Überall bist Du) ist er oft näher als vielen seiner HipHop-Kollegen.

Wer deutsche Popmusik mag, nichts gegen Sprachakrobatik und musikalische Anleihen aus verschiedenen Genres einzuwenden hat, kann mit Weit weg einen wunderbaren Sommer erleben. Caipirinha raus, Beine hoch, genießen!

„Weit Weg“ von Clueso ist als CD erschienen bei Sony BMG.

Hören Sie hier „Chicago“