Lesezeichen
 

Obamas digitaler Vorsprung

Der Wahlkampf in den USA wird in nie gekanntem Ausmaß auch online ausgetragen. Mehr und mehr nutzen die Kandidaten digitale Tools, um sich an den traditionellen Medien vorbei direkt an die potenziellen Wähler zu wenden. Ihre Aktivitäten im Internet über einen Zeitraum von zwei Wochen Mitte Juni hat eine neue Studie  aus dem Project for Excellence in Journalism des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center untersucht. Mit dem Ergebnis: Barack Obama hat in dieser Hinsicht einen deutlichen Vorsprung gegenüber seinem Herausforderer Mitt Romney. Seine Kampagne ist auf fast doppelt so vielen Plattformen vertreten und postet viermal so viel Content wie das gegnerische Lager. Gleichzeitig ist auch die Resonanz darauf bei Obama wesentlich stärker: Im Schnitt doppelt so viele Menschen sehen, kommentieren und teilen seine Inhalte.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie:

  • Im digitalen Wahlkampf ist die Wirtschaft das Kernthema. 25 Prozent der Inhalte aus dem Romney-Lager beziehen sich darauf, 19 Prozent sind es bei Obama. Allerdings geht es bei Romney ausdrücklich um „Jobs“  fast doppelt so häufig, während sich Obamas Beiträge zu gleichen Teilen um Arbeitsplätze und eher grundsätzliche Wirtschaftsthemen drehen, etwa um die Notwendigkeit, in die Mittelklasse zu investieren, oder, warum die Wahl eine Entscheidung zwischen zwei ökonomischen Visionen ist.
  • Seit der Wahl vor vier Jahren hat sich die inhaltliche Agenda der Internetbeiträge gewandelt. Verschwunden sind demnach etwa Themen wie Veteranen, Landwirtschaft, Ethik, Irak oder Technologie. Dafür liegt ein neuer Schwerpunkt auf der Steuerpolitik. Und zwischen den beiden Lagern gibt es, was den Fokus anbelangt, weniger Überschneidungen als im vorigen Wahlkampf.
  • Die Kandidaten wenden sich stark dem Komplex Wirtschaft zu, bei den potenziellen Wählern liegt das größte Interesse aber offenbar in anderen Bereichen. So teilten die User Obamas Beiträge zur Einwanderungspolitik beispielsweise viermal so häufig wie jene zu Wirtschaftsthemen; bei Romney gab es unter anderem zur Krankenversicherung die meisten Reaktionen.

  • Die verschiedenen Kanäle sind für beide Wahlkampflager fast ausschließlich eine Einbahnstraße. Fast nie treten sie mit den Usern in einen Dialog, sondern sind offenbar nur an der Verbreitung ihrer Inhalte interessiert. Mitteilungen von Bürgern oder überhaupt von irgendjemandem außerhalb des Teams, beantworten, kommentieren oder teilen sie nur äußerst selten. Beispiel Twitter: Nur drei  Prozent der Tweets aus dem Obama-Lager waren Retweets externer Quellen. Bei Romney war diese Beobachtung sogar noch auffälliger: Während des zweiwöchigen Untersuchungszeitraums zählten die Forscher nur einen einzigen Retweet, das Original kam von Romneys Sohn Josh.
  • Die Websites der Kandidaten bleiben der Dreh- und Angelpunkt des digitalen Wahlkampfs. Die Autoren der Studie stellten fest: Selbst wenn jemand über ein soziales Netzwerk einsteigt, landet er meist früher oder später auf den Kandidatenseiten – um Geld zu spenden, sich dort in der Community anzumelden und als freiwilliger Wahlkampfhelfer zu registrieren oder um längere Beiträge zu lesen. Dass dies in voller Absicht passiert, zeigt etwa auch ein Redesign von Obamas Seite im Juli: Statt wie zuvor auf den YouTube-Kanal der Kampagne zu verlinken, sind die Videos nun direkt eingebunden, um die User nicht dorthin zu verlieren.
  • Obamas digitale Strategie ist viel stärker auf unterschiedliche Wählergruppen zugeschnitten als die von Romney. Wer etwa auf seiner Website einer von 19 Gruppen beitritt – etwa African-Americans, Latinos, Veterans/Military Families oder Young Americans –, erhält verstärkt dazu passende Inhalte. Romney hat nach Ende des Untersuchungszeitraums nachgezogen und bietet seiner Community jetzt 10 Gruppen an.
 

Der Demokrat in der Nachbarschaft

Welchem politischen Lager gehört eigentlich der Nachbar an? Die Wahlkampfstrategen von US-Präsident Barack Obama halten es für eine gute Idee, wenn die Anhänger wissen, wer in ihrem Umfeld ebenfalls den Demokraten nahesteht. Und das können die potenziellen Wähler und Multiplikatoren ganz leicht erfahren, wenn sie sich registriert haben. Obamas Online-Tool Dashboard bietet diese Möglichkeit (Herausforderer Romney hat etwas ganz Ähnliches im Angebot), und inzwischen haben die so gesammelten Informationen auch Eingang gefunden in eine Smartphone-App: Der User wird lokalisiert, auf einer Google-Map markieren blaue Fähnchen Haushalte mit Unterstützern der Demokraten. Dem kann Romney derzeit nichts entgegensetzen.

Dass freiwillige Helfer herausfinden können, wer noch grundsätzlich auf derselben Seite steht, gehört seit Langem zum Konzept der US-Kampagnen. Doch bequemer als der Besuch in einem lokalen Wahlkampfbüro, um sich eine entsprechende Liste ausdrucken zu lassen, sind die neuen Tools allemal. Zumal gerade das durchaus eine Hürde war, die in der Regel wirklich nur die Volunteers überwanden, um gezielt auf Anhänger zuzugehen, die es für die Wahl zu mobilisieren galt. Per Smartphone schaut man schon mal schneller einfach nur aus Spaß nach, welcher Nachbar Demokrat ist.

Gedacht ist es aber so: Smartphone in der Hand, den blauen Fähnchen folgen und dann eben doch wie früher von Tür zu Tür und anklopfen. Der Spaß ist sicher größer als mit dem Zettel in der Hand, und die App hilft sogar, wenn einem die Worte fehlen – bis hin zu Empfehlungen wie „Wie geht es Ihnen heute?“, um das Gespräch zu beginnen. Für die Wahlkampfstrategen ist dieser neue Straßenwahlkampf ein Traum, schon vor vier Jahren hat das Klinkenputzen unzähliger Volunteers Obama zum Sieg verholfen. Nun können sie nahezu in Echtzeit nachvollziehen, welchen Erfolg die Überzeugungsarbeit hat, ob also aus prinzipiellen Unterstützern auch wirklich entschlossene Wähler werden.

So erhobene Daten sind ein Goldschatz für die Kampagne, doch selbst die alten Methoden waren einigen Anhängern bereits unheimlich. Nun ist noch offensichtlicher, wie viel die Wahlkämpfer über die Bürger wissen. Das schürt Ängste und ruft Datenschutzaktivisten auf den Plan. Doch in dieser Hinsicht kann man der App sogar etwas Positives abgewinnen: Wussten früher nur die Wahlkampfverantwortlichen ganz genau, was sie in ihren Datenbanken stehen hatten, sind die Informationen jetzt zumindest ein wenig transparenter. Dabei darf man allerdings nicht davon ausgehen, dass Obamas Strategen alles preisgeben. Wer warum welche Mails bekommt und im Internet welche Werbung sieht oder auch klassisch angeschrieben oder angerufen wird – für viele Wähler dürfte das ein Geheimnis bleiben.