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Wahlpflicht? Ja, bitte!

 

Der CSU-Politiker Stephan Mayer hat kürzlich die Einführung einer Wahlpflicht gefordert. Die BILD-Zeitung zitiert ihn mit der Aussage: „Es ist wichtig, dass möglichst jeder Bürger aktiv an der Demokratie teilnimmt“. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Demokratie bedeutet Herrschaft des Volkes, in ihrer repräsentativen Variante bedeutet dies, dass die Bürger diese Herrschaft – zeitlich befristet – auf Abgeordnete übertragen, die sich wiederum regelmäßig zur Wahl stellen müssen, um Rechenschaft abzulegen. Für die Legitimation der Abgeordneten, aber auch ihre Rechenschaftspflicht ist es wünschenswert, wenn sich möglichst alle Bürger an diesem Verfahren beteiligen. Der Einfluss der Bürger wird nämlich nur gleich und damit fair verlaufen, wenn alle Bürger den gleichen Einfluss ausüben können und dies auch tun. „Meaningful democratic participation requires that the voices of citizens in politics be clear, load, and equal“, so haben es die amerikanischen Politikwissenschaftler Sidney Verba, Kay Lehman Schlozman und Henry E. Brady in ihrem Buch „Voice and Equality“ einmal formuliert. Denn nur gleich laute Stimmen sichern demnach auch gleich starken Einfluss – Politiker sind schließlich rationale Akteure. Ihr Kollege V.O. Key hat schon 1949 ernüchtert bilanziert: „The blunt truth is that politicians and officials are under no compulsion to pay much heed to classes and groups of citizens that do not vote“.

Zugleich wissen wir aber aus zahlreichen Studien, dass die Wahlbeteiligung keineswegs gleich in der wahlberechtigten Bevölkerung verteilt ist. Arbeitslose Menschen etwa nehmen seltener an Wahlen teil. Ebenso Personen mit niedriger formaler Bildung. Sie (und ihre Interessen) sind damit im politischen Prozess weniger sichtbar. Dies ist im Fall von Arbeitslosigkeit – oder allgemeiner formuliert: im Fall von sozial Schwachen – besonders bemerkenswert, weil ihre Lebensgestaltung in überdurchschnittlichem Maße von staatlicher Regulation, aber vor allem Allokation abhängig ist. Arend Lijphart – noch ein Politikwissenschaftler – sieht darin sogar ein funktionales Äquivalent etwa zum preußischen Drei-Klassen-Wahlrecht, welches heutzutage universell als undemokratisch abgelehnt würde, und fragt daher auch: „Why then do many democrats tolerate the systematic pattern of low and unequal turnout that is the functional equivalent of such rules?”. Die Einführung einer Wahlpflicht ist für ihn die Lösung. Stephan Mayer befindet sich also durchaus in guter Gesellschaft.

PS: Die Gegenrede „Wahlpflicht? Nein, danke!“ findet sich hier.