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Briefe über Deutschland (12)

 

Lieber Rich,

natürlich hat Kanada den Luxus der Distanz und kann sich die Griechenland-Saga mit etwas mehr Gelassenheit zu Gemüte führen, zumal es ja fix aus seiner kleinen Rezession rausgeklettert ist. Kürzlich sprach ein Leitartikler vom „deutschen Imperium“. Die Wortwahl wäre in Deutschland sicher anders ausgefallen, aber der Bezug auf Deutschlands dominante, exportorientierte und Abhängigkeit generierende Wirtschaft ist richtig. Daher trifft hier der Widerwille, mit dem sich die deutsche Regierung zu dem Hilfspaket durchgerungen hat, auf Unverständnis.

Allerdings nicht so sehr wie die Zustände, die in Griechenland die Krise mit herbeigeführt haben. Da zeigen die Kanadier eher Solidarität mit den Deutschen, die ihnen ja wirtschaftlich ähnlicher sind und mit denen sie sich daher leichter identifizieren können. Eine erboste Restaurantbesitzerin traf ich kürzlich in Spanien: Ihr missfiel, dass ihr Land, selbst gefährdet, jetzt auch noch Milliarden nach Griechenland schicken müsse. In ihrem hervorragenden Restaurant waren wir die einzigen Gäste. Mein Friseur meinte übrigens, dass Europas Ära zu Ende sei. Als stolzer Europäer, der auch weiterhin an das Projekt der europäischen Einheit und Solidarität glaubt, denke ich da anders. Aber wie ist die Stimmung in Deutschland?

Dein Julian

Im wöchentlichen Wechsel schreiben sich hier Julian Lee, 30, Umweltberater aus Montreal, und sein Stiefvater Friedrich Engelke, 68, Physiker aus Villingen