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Nach der (Europa-)Wahl ist vor der (Bundestags-)Wahl: Sind wir nun schlauer, wer die Wahl gewinnen wird?

 

Die Europawahl hat erneut die Theorie nationaler Nebenwahlen bestätigt. Allenfalls mäßig interessiert, schlecht informiert und wie die Parteien sowie die Medien eher an Deutschland als an Europa orientiert zeigten sich die Deutschen bei der Europawahl. Und die Mehrheit ging – wie erwartet – nicht zur Wahl. Profitiert hat davon primär die Union. Es sind etwas mehr Ältere, aber weniger formal niedrig Gebildete und weniger Arbeiter zur Wahl gegangen als bei der letzten Bundestagswahl. In der Summe war dies vor allem ein Problem für die SPD, die sich von der Europawahl eine Art Startschuss für die Bundestagswahl im Herbst erwartet hatte. Statt dessen verlor die SPD weiter und die FDP konnte – für eine klassische Zweitstimmenpartei erstaunlich – massiv zulegen. Es scheint, als habe vor allem sie von der in der Wissenschaft bekannten Stimmung gegen die Regierungsparteien profitiert.

Doch was bedeutet dies nun für den Wahlherbst 2009? Andrea Römmele hat zurecht auf die im Vergleich zu 2005 noch schlechteren Umfragewerte der SPD hingewiesen. Kim Jucknat fokussierte auf die schlechten Werte Frank-Walter Steinmeiers im Eigenschafts- und Problemlösungsvergleich zu Angela Merkel. Es gibt, so scheint es, in Umfragen derzeit keinerlei Indizien dafür, dass die SPD der Union die Führungsposition noch einmal streitig machen oder Steinmeier gar Kanzler werden könnte. Dennoch gibt es mindestens ein Faktum und zwei potenzielle Faktoren, die man im Blick behalten sollte, bevor man die Wahl als vorentschieden klassifiziert.

Es ist Fakt, dass Umfragen (und Wahlen) seit 1998 keine Trendwende zugunsten des bürgerlichen Lagers zeigen. Meist liegt das linke Lager knapp vor den Bürgerlichen. Bliebe es so, hätten wir „2005 reloaded“: Entweder eine der beiden kleinen Parteien bewegt sich auf ein Dreierbündnis hin oder es bleibt bei der Großen Koalition. Die beiden Faktoren, die potenziell Veränderungen herbeiführen können, sind Themenkompetenz und Mobilisierung. In den Analysen zur Europawahl fällt auf, dass die Mehrheit der Bürger in wichtigen Politikfeldern keiner Partei Kompetenz zuschreiben konnte. Dies ist kein ganz neues Phänomen, macht aber klar, dass sämtliche Parteien im Wahlkampf die Chance haben, sich thematisch zu profilieren. 2005 gelang es der SPD zwar nicht, die Union in der Themenkompetenz zu überholen, aber dennoch bei Rente, Gesundheit und Steuern mit ihr gleichzuziehen. Diese thematische Aufholjagd, damals maßgeblich durch die Person Schröder geprägt, ist für die SPD theoretisch auch 2009 möglich. Sie hat, gemessen an den Umfragewerten und im Vergleich zur Union, auch das größere Mobilisierungspotenzial.

Dennoch ist die Konstellation für sie schlechter als 2005, denn die Union stellt die Kanzlerin und es gibt keine (von vielen Sozialdemokraten gehasste) Agenda 2010, die von der Mehrheit der Bürger letztlich doch als notwendig akzeptiert wurde. Insofern wird es für die SPD schwer, ihre teils enttäuschten, teils nach Links verlorenen Anhänger zu mobilisieren, aktivieren oder gar wiederzugewinnen. Da Wahlen Nullsummenspiele sind, könnte dieses zu erwartende Mobilisierungsdefizit letztlich dazu beitragen, dass Union und FDP bei den abgegebenen Stimmen am Ende doch die Nase vorne haben werden. Sind wir nach der Europawahl schlauer, wer die Bundestagswahl gewinnen wird? Nicht wirklich, aber die Parteien wissen nun wohl besser, was es thematisch und personell geschlagen hat.