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Genosse Pirat

 

Die SPD-Linke hat das Internet entdeckt. Sie fordert eine „sozialdemokratische Netzpolitik“ und klaut dabei fröhlich Thesen und Label der politischen Konkurrenz.

Die Ideen sind nicht übel: Bürgerrechte muss es auch im Internet geben. Die Privatsphäre sollte in den Weiten des WWW geschützt werden, und Zensur, na ja, die hat uns freiheitsliebenden Menschen noch nie so besonders gut gefallen.

Eine Gruppe junger Sozialdemokraten hat diese avantgardistischen Thesen formuliert. 1495 Menschen unterstützen ihr Ansinnen bereits bei Facebook.

Und es gibt einen Aufruf im Internet, der sogenannte Ludwigsburger Dialog, den stündlich mehr Menschen im Netz unterschreiben.  Dort wird vor einer „sicherheitspolitischen Aufrüstung ohne Augenmaß“ gewarnt, vor einer schleichenden „Erosion der Grundrechte“, vor einer „totalen Überwachung“.

Spätestens hier, wenn der Ton ins apokalyptische umschlägt, denkt man: Irgendwo hat man das kürzlich erst gelesen.

Klar, ganz ähnlich klang das zuletzt bei den Piraten, dieser paneuropäischen Bewegung also, die sich seit geraumer Zeit für ein barrierefreies Internet einsetzt. In den SPD-Texten von diesem Wochenende wird auf die freibeuterische Konkurrenz nicht eingegangen. Das Logo ist zwar eine Referenz an die internationale Piraten-Bewegung. Über deren deutsche Dependance wird aber keine Silbe verloren.

Stattdessen dominiert bei der SPD selbstbewusster Pathos. Es sei endlich „Zeit für eine sozialdemokratische Netzpolitik“, sagte am Wochenende Björn Böhning, der Sprecher der SPD-Linken und selbsternannter Captain Sparrow der SPD.

Die bereits existierenden Piraten nehmen es mit gemischten Gefühlen auf, dass sich die SPD plötzlich für ihre Agenda interessiert. Pikiert weisen sie in ihren Foren darauf hin, dass der SPD-Medienexperte Sascha Lobo vor Kurzem die Piraten noch als unwichtig abqualifiziert habe – und nun kapere sie die Themen. Ein anderer fragt, was wohl als Nächstes kommt: „SPD in der Piratenpartei – oder Sozialisten in der CDU.“

Bei einem dritten Kommentator, mit dem schönen Namen Tiramisu, schwingt aber auch ein bisschen Stolz mit, wenn er fragt: Soll ich „mich als Piratenanhänger geehrt fühlen“?

Offenbar sind die Piraten auf dem besten Weg, Teil des Mainstream zu werden. Auch die Grünen wurden erst ignoriert, danach kopiert. Irgendwann koalierte man mit ihnen. Und die SPD? Die scheint zurück auf dem Weg zur Volkspartei. Sie greift populäre Themen auf – und übernimmt sowohl das Pro als auch das Contra. Schließlich hatten die meisten SPD-Abgeordneten im Juni im Bundestag noch für das Netzsperren-Gesetz gestimmt. Böhning sagte der Süddeutschen Zeitung, die Genossen im Bundestag hätten damals nicht gewusst, worüber sie abstimmen.

Furchtbar, das ist das Gegenteil von Bürgerrecht: Parlamentarier, die den Arm heben, ohne zu wissen, warum. Aber das könnte sich, zumindest Internet-mäßig, ja bald ändern. Wahrscheinlich haben bald alle modernen Parteien ihren Piraten-Flügel.