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Die Schicksalsfrage

 

Die Bildungspolitik ist traditionell ein prominentes Wahlkampfthema. Zur Bundestagswahl 2009 jedoch scheint sich nun jedoch ein Sprung in die Riege jener Themen abzuzeichnen, die nicht nur eifrig diskutiert werden, sondern tatsächlich wahlentscheidend sind. Einer Forsa-Studie für die Zeitschrift „Eltern“ zufolge schreiben 86 Prozent der Befragten dem Bereich „Familie, Kinder, Bildung“ einen mindestens genauso großen Stellenwert zu, wie den klassischen Wahlkampfschlagern Arbeit und Wirtschaft. Für die repräsentative Umfrage wurden Eltern minderjähriger Kinder interviewt, es handelt sich also um eine auch zahlenmäßig starke (Ziel-)Gruppe.

Die Politik hat sich darauf eingestellt: Bildung ist fester Bestandteil der aktuellen Plakatkampagnen der Parteien und die Spitzenpolitiker betonen gebetsmühlenartig den besonderen Stellenwert von Schule, Kinderbetreuung und Ausbildung. Angela Merkel hat bereits im Jahr 2008 ein deutliches Zeichen gesetzt und die „Bildungsrepublik Deutschland“ zu einem zentralen Projekt ihrer Regierung erklärt. Dieses Ziel ist nun eine tragende Säule ihres Wahlkampfes. Ihr Herausforderer Frank-Walter Steinmeier hält die Bildungspolitik gar für die „Schicksalsfrage der Nation“, und die Oppositionsparteien prangern erwartungsgemäß Versäumnisse der Großen Koalition in diesem Bereich an.

Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass Studien und Statistiken aus dem Bereich der Bildungsforschung schnell Eingang in den Wahlkampf finden. So lesen etwa die Unionsparteien die Ergebnisse des jüngst erschienenen „Bildungsmonitors“ der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft als Bestätigung ihrer Bildungspolitik – immerhin belegen von ihnen regierte Länder die ersten fünf Plätze der Tabelle. Aus sozialdemokratischer Perspektive hingegen zieht man den Blick auf das „Dynamik-Ranking“ vor, das die relativen Verbesserungen der Länder abbildet. Hier liegen auch einige sozialdemokratisch geführte Länder auf den vorderen Plätzen und das rot-schwarz-geführte Mecklenburg-Vorpommern steht mit weitem Abstand an erster Stelle. Ein schöner Zufall für die Sozialdemokraten ist zudem, dass dort Manuela Schwesig als Sozialministerin wirkt – jene Frau also, die als Shootingstar im Kompetenzteam Steinmeiers gehandelt wird.

Gesamtbewertung der Bundesländer im Zeitablauf

Quelle: Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (Graphik kann durch Anklicken vergrößert werden)

Just sie hat aber jüngst betont, was sonst gerne übersehen wird: Dass es nämlich zwischen den einzelnen Bereichen der Sozialpolitik nicht nur viele Berührungspunkte, sondern auch Grenzen gibt. Ihr ging es um den Unterschied zwischen Frauen- und Familienpolitik; für die Bildungspolitik ist diese Erkenntnis aber mindestens ebenso zutreffend. Wirtschaft, Integration, Familienförderung, Arbeitsmarkt, Demographie – all diese Themen und die damit verbundenen Probleme werden derzeit mit der Bildungspolitik verbunden. Politiker aller Parteien versprechen schnelle Besserung hier durch bessere Bildung da. Selten wird jedoch erwähnt, dass Kitas, Kindergärten, Schulen, Hochschulen und Ausbildungsbetriebe mit diesem Aufgabenkatalog überfordert sein könnten. Im Wahlkampf spielt das meist nur eine Rolle, wenn es um die unzureichende Ausstattung der Einrichtungen oder die Frage der Finanzierung geht.

Am Geld alleine jedoch kann es nicht liegen, der „Bildungsmonitor“ konnte keinen Zusammenhang zwischen dem BIP eines Landes oder dem Einkommen seiner Bürger und seiner Leistung im Bildungsbereich feststellen. Eher lässt sich sogar die leichte Tendenz ausmachen, dass die wirtschaftlich schwächeren Länder etwas bessere Werte erzielen, wobei hierbei natürlich verschiedenste regionale Besonderheiten zu berücksichtigen sind. Nichtsdestotrotz weist dies darauf hin, dass es der Politik oftmals nicht nur am Geld, sondern auch an den passenden Konzepten fehlt.

Und so spitzt sich die Debatte derzeit auf eine wahlkampftaugliche Ja-oder-Nein-Frage zu: Soll der Bund in der Bildungspolitik wieder mehr Einluss erhalten? 91 Prozent der von Forsa befragten Eltern befürworten das. Die SPD nutzt die Gunst der Stunde und macht sich für die Abschaffung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern stark – obwohl sie es im Rahmen der Föderalismusreform (nach einigen Protesten) mitgetragen hat.

Die Themenhoheit im Bereich der Bildungspolitik ist zwischen den Parteien hart umkämpft. Das ist keine besonders gute Voraussetzung für einen inhaltlichen Austausch jenseits plakativer Forderungen und polarisierender Debatten. Trotzdem sollte man versuchen, die derzeitige Prominenz des Themas für zukunftsweisende Reformprojekte zu nutzen.